27.06.2011
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EU-Ratspräsident Herman van Rompuy mit den Mitgliedern des Rats der Europäischen Union beim "Familienfoto" auf dem EU-Gipfel am 23. Juni 2011. Foto: Der Rat der Europäischen Union

Die Beschlüsse des EU-Gipfels in Brüssel sind erschütternd: Statt Flüchtlinge aufzunehmen, baut die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex aus.

Die Beschlüs­se des EU-Gip­fels in Brüs­sel sind erschüt­ternd: Statt Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, baut die EU ihre Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex aus.

Der UNHCR hat­te wochen­lang immer wie­der an die EU-Staa­ten appel­liert, Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, die nicht in ihre Her­kunfts­län­der zurück kön­nen. Selbst EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ceci­lia Malm­ström hat­te ver­sucht, die Regie­rungs­ver­tre­ter der EU-Staa­ten dazu zu bewe­gen, 15.000 Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men. Doch alle Appel­le für ein euro­päi­sches Resett­le­ment-Pro­gramm stie­ßen beim EU-Gip­fel der ver­gan­ge­nen Woche auf Ableh­nung und Ignoranz.

Statt Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, haben die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs am 23. Juni 2011 in Brüs­sel ver­ein­bart, die Kom­pe­ten­zen der Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex zu erwei­tern. Fron­tex soll künf­tig Beam­te der Mit­glied­staa­ten für Grenz­schutz­ein­sät­ze anfor­dern kön­nen. Wäh­rend sol­che Ein­sät­ze offi­zi­ell bis­lang von Fron­tex nur koor­di­niert wur­den, soll die Agen­tur nun hier­bei eine „füh­ren­de Rol­le“ ein­neh­men. Und wäh­rend sich Fron­tex bis­lang Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­de von Mit­glied­staa­ten lei­hen muss­te, darf sich die Agen­tur nun selbst Hub­schrau­ber, Schif­fe und Fahr­zeu­ge anschaf­fen – Mate­ri­al, das, wie PRO ASYL befürch­tet, letzt­lich dazu die­nen wird, Flücht­lin­ge abzu­weh­ren, die kei­nen ande­ren Aus­weg sehen, als die lebens­ge­fähr­li­che Flucht über das Mit­tel­meer anzu­tre­ten, weil Euro­pa sie buch­stäb­lich in der Wüs­te sit­zen lässt.

Fron­tex und die Grundrechte

PRO ASYL und vie­le ande­re Flücht­lings- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen haben immer wie­der auf Fäl­le hin­ge­wie­sen, in denen Men­schen- und Flücht­lings­rech­te im Rah­men von Fron­tex-Ein­sät­zen ver­letzt wur­den. Zumin­dest auf dem Papier reagiert die EU nun auf die Kri­tik an ihrer Grenz­schutz­be­hör­de: Fron­tex soll nun ein „bera­ten­des Forum für Grund­rech­te“ zur Sei­te gestellt bekom­men. Auch einen „Grund­rechts­be­auf­trag­ten“ soll Fron­tex in Zukunft haben, der aller­dings – anders als das EU-Par­la­ment ursprüng­lich gefor­dert hat­te – kein unab­hän­gi­ger Beob­ach­ter, son­dern selbst ein Fron­tex-Mit­ar­bei­ter sein soll.

Ob die Bekennt­nis­se zur Wah­rung von Grund­rech­ten an der tat­säch­li­chen Poli­tik von Fron­tex etwas ändern, ist zwei­fel­haft. Der Auf­trag von Fron­tex lau­tet schließ­lich, Flücht­lin­ge erst gar nicht in die Euro­päi­sche Uni­on zu las­sen. Schutz­su­chen­de haben ein Recht dar­auf, dass ihr Asyl­an­trag in einem fai­ren Ver­fah­ren geprüft wird. Das ist weder auf dem Meer noch in den Staa­ten mög­lich, von denen aus die Flücht­lin­ge nach Euro­pa fliehen.

Wie sich in Ver­gan­gen­heit etwa im Fal­le Liby­ens zeig­te, droht in Dritt­staa­ten die Gefahr, dass Flücht­lin­ge dort ernied­ri­gen­der Behand­lung und Fol­ter aus­ge­setzt wer­den. Den­noch hält die EU wei­ter­hin an ihrer Absicht fest, bei der Flücht­lings­ab­wehr mit Dritt­staa­ten zu koope­rie­ren. Im aktu­el­len Beschluss der EU heißt es, dass Fron­tex dort „tech­ni­sche Assis­tenz­pro­jek­te“ star­ten und in sol­chen Staa­ten Ver­bin­dungs­be­am­te anstel­len darf.

Auf­ge­ben geht nicht

Die Beschlüs­se der EU sind für alle, die für eine mensch­li­che Flücht­lings­po­li­tik kämp­fen, eine Ent­täu­schung – auch für alle, die bei der PRO-ASYL-Akti­on teil­ge­nom­men haben und Pro­test-E-mails und ‑Post­kar­ten an den EU-Rats­prä­si­den­ten Her­man von Rom­puy schrie­ben, dass er sich für die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen ein­set­zen möge. Ange­sichts der Not­la­ge der Flücht­lin­ge in Nord­afri­ka sowie der oft unmensch­li­chen Flücht­lings­po­li­tik der EU-Staa­ten kann Resi­gna­ti­on jedoch nicht die Ant­wort sein. Uns bleibt nichts ande­res übrig, als wei­ter­zu­ma­chen: brei­ter über die gegen­wär­ti­ge Poli­tik der Abschot­tung und ihre Kon­se­quen­zen zu infor­mie­ren, wei­ter an die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen appel­lie­ren, lau­ter pro­tes­tie­ren. Wir hof­fen dabei auf Ihre Unterstützung.

Pres­se­mit­tei­lung des Euro­päi­schen Rates (engl.)

Bericht der Süd­deut­schen Zeitung

Bericht der Frank­fur­ter Allgemeinen

Bericht von Reu­ters Afri­ca (engl.)

PRO ASYL –Bro­schü­re zur Zusam­men­ar­beit der EU mit Liby­en (PDF)