17.07.2012

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am 18. Juli 2012 über die Vorlagen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zur Frage, ob die sogenannten "Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz" verfassungsgemäß sind.

Flücht­lin­ge müs­sen in Deutsch­land mit weni­ger als zwei Drit­tel der Hartz-IV-Sät­ze aus­kommen – sie erhal­ten Sozi­al­leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG). Die­se wer­den häu­fig in Form entmündigen­der Lebens­mit­tel­pa­ke­te oder von Gutschei­nen ausgegeben. 

Mit dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz wur­de 1993 ein Son­der­ge­setz geschaf­fen, das deut­lich abge­senk­te Leis­tun­gen fest­setz­te und vor­ran­gig Sach­leis­tun­gen anstel­le von Geld­leis­tun­gen vor­sah. Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz war Teil des sog. Asyl­kom­pro­mis­ses und wur­de als Instru­ment der Abschre­ckung eingeführt. 

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat am Welt­flücht­lings­tag, dem 20. Juni 2012, über die Leis­tun­gen für Asyl­be­wer­ber münd­lich verhandelt.

Der­zeit sei­en rund 130.000 Men­schen betrof­fen, von denen zwei Drit­tel seit mehr als sechs Jah­ren in Deutsch­land leb­ten, sag­te die Bericht­erstat­te­rin des Ver­fah­rens, Ver­fas­sungs­rich­te­rin Susan­ne Baer. Dass trotz einer Preis­stei­ge­rung um mehr als 30 Pro­zent seit­her kei­ne Anpas­sung der Leis­tun­gen erfolg­te, stieß bei den Rich­te­rin­nen und Rich­tern auf Unver­ständ­nis.  Der Vize­prä­si­dent des Gerichts, Fer­di­nand Kirch­hof, sag­te zum Pro­zess­ver­tre­ter der Bun­des­re­gie­rung: „Das Mot­to, ein biss­chen hun­gern, dann gehen die schon, kön­ne es doch wohl nicht sein.“

Seit Ein­füh­rung des Geset­zes gabe es kei­ne Erhö­hung der Leis­tun­gen. Statt­des­sen wur­de der Anwen­dungs­be­reich des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes im Lau­fe der Jah­re aus­ge­wei­tet. Die­ses Gesetz fin­det heu­te auf Men­schen in recht­lich und tat­säch­lich sehr unter­schied­li­chen Lebens­la­gen Anwen­dung. Leis­tungs­be­rech­tig­te nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz sind Asyl­su­chen­de, Kriegs­flücht­lin­ge und ande­re im Besitz einer Auf­ent­halts­er­laub­nis befind­li­che Per­so­nen, Gedul­de­te und voll­zieh­bar Aus­rei­se­pflich­ti­ge sowie deren Ehe­gat­ten, Lebens­part­ner und min­der­jäh­ri­ge Kinder.

Dass das Asyl­bLG ver­fas­sungs­wid­rig sein könn­te, hat auch die zustän­di­ge Minis­te­rin Frau von der Ley­en am 10.November 2010 in einer Ant­wort auf eine Bun­des­tags­an­fra­ge mit­ge­teilt. Aller­dings blieb die Bun­des­re­gie­rung bis heu­te untä­tig. Seit 1993 wur­den die Sät­ze für Asyl­su­chen­de nicht ange­ho­ben. Die Leit­tra­gen­den sind die Betroffenen.

Län­der­pra­xis sehr unterschiedlich

Wegen des hohen Ver­wal­tungs­auf­wan­des der Sach­leis­tungs­ver­sor­gung macht bun­des­weit inzwi­schen die Mehr­zahl der Län­der und Krei­se von der Mög­lich­keit der Geld­leis­tungs­ge­wäh­rung Gebrauch:

  • Geld­leis­tun­gen: Ham­burg, Ber­lin, Bre­men, Hes­sen, Sach­sen-Anhalt und Meck­len­burg-Vor­pom­mern gewäh­ren (flä­chen­de­ckend), Schles­wig-Hol­stein, NRW und Rhein­land-Pfalz (über­wie­gend).
  • Teil­wei­se Geld­leis­tun­gen: Man­che Krei­se in Bran­den­burg, Sach­sen (Dres­den, Leip­zig u.a.).
  • Gut­schei­ne: Nie­der­sach­sen (flä­chen­de­ckend), Thü­rin­gen (ganz über­wie­gend), Bran­den­burg und Sach­sen (teil­wei­se)
  • Sach­leis­tun­gen (Essens­pa­ke­te usw.): Saar­land, Bay­ern und Baden-Württemberg

Wei­ter­füh­ren­de Informationen:

Auf­satz von Marei Pel­zer (PRO ASYL) und Mat­thi­as Leh­nert (GGUA): Dis­kri­mi­nie­ren­des Son­der­ge­setz: War­um das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz ver­fas­sungs­wid­rig ist, aus: Kri­ti­sche Jus­tiz 2010, S. 452–459

Stel­lung­nah­me von Georg Clas­sen, Ber­li­ner Flüchtlingsrat

Doku­men­te zum Ver­fah­ren vor dem Bundesverfassungsgericht:

Vor­la­ge­be­schluss LSG NRW L 20 AY 13/09 v. 26.07.2010 (Asyl­bLG-Leis­tun­gen für Alleinstehende)

Vor­la­ge­be­schluss LSG NRW L 20 AY 1/09 v. 22.11.2010 (Asyl­bLG-Leis­tun­gen für Kinder)

Hin­weis: Die Urteils­ver­kün­dung fin­det statt am  18. Juli 2012, 10.00 Uhr im Sit­zungs­saal des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, Amts­sitz „Wald­stadt“, Rint­hei­mer Quer­al­lee 11, 76131 Karlsruhe