28.01.2013
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Selbst von der internationalen Weltraumstation aus erkennt man die ägyptisch-israelische Grenze im Sinai. Auf der ägyptischen Seite (oben) drohen Flüchtlingen Folter und Mord durch Menschen- und Organhändler, tödliche Schüsse von ägyptischen Grenzpolizisten und die Inhaftierung in Polizeiwachen und Gefängnissen. Auch auf der israelischen Seite der Grenze (unten) werden Schutzsuchende inhaftiert.<a href="http://www.flickr.com/photos/nasamarshall/6419061375/"> Foto: Flickr / NASA's Marshall Space Flight Center</a>

Tausende Flüchtlinge werden auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel Opfer krimineller Organisationen, zu deren Geschäft Sklaverei, Lösegelderpressung und Organhandel gehören. Wenn Ägyptens Präsident Mohammed Mursi diese Woche in Deutschland zum Staatsbesuch erwartet wird, werden Demonstranten die ägyptische Regierung auffordern, endlich die verschleppten Flüchtlinge zu retten und gegen die bisher unbehelligten Täter vorzugehen.

Seit die Flucht­rou­te über Liby­en durch die Koope­ra­ti­on der EU mit dem Gad­da­fi-Regime und spä­ter durch den liby­schen Bür­ger­krieg schwie­ri­ger gewor­den ist, ver­su­chen Flücht­lin­ge aus Eri­trea, dem Sudan, Äthio­pi­en und Soma­lia ver­mehrt über die ägyp­ti­sche Sinai-Halb­in­sel nach Isra­el zu gelan­gen – oft in der Hoff­nung, es von dort aus nach Euro­pa zu schaf­fen. Durch­schnitt­lich sol­len rund 2000 Men­schen pro Monat über die ägyp­tisch-israe­li­sche Gren­ze im Sinai gelangen.

Einer Ent­schlie­ßung des Euro­päi­schen Par­la­ments vom 15. März 2012 zur Fol­ge sind es Tau­sen­de Asyl­su­chen­de und Migran­ten, die es nicht bis nach Isra­el schaf­fen, son­dern im Sinai umkom­men. Zahl­rei­chen Berich­ten nach – unter ande­rem einer drei­tei­li­gen CNN-Doku­men­ta­ti­on vom Novem­ber 2011 – wer­den die Flücht­lin­ge teils direkt von ihren Schlep­pern an die kri­mi­nel­len Ban­den im Sinai ver­kauft, im Sinai von Men­schen­händ­lern auf­ge­grif­fen oder auch aus Flücht­lings­la­gern im Sudan oder in Äthio­pi­en ent­führt. Im Sinai wer­den sie von den Ban­den in Lagern fest­ge­hal­ten, ver­sklavt, gefol­tert, ver­ge­wal­tigt und nicht sel­ten getötet.

Löse­geld­erpres­sung und Organhandel

Durch die Erpres­sung von Löse­geld von Ange­hö­ri­gen der Opfer erzie­len die Täter hohe Pro­fi­te. „Die Schmugg­ler sind vor allem an den Mobil­te­le­fo­nen der Flücht­lin­ge mit Tele­fon­num­mern von Eri­tre­ern im Aus­land inter­es­siert. Sobald die­se Num­mern ange­ru­fen wer­den, beginnt die Fol­ter“, so ein Bericht der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe. Ange­sichts der Schreie der Opfer ver­such­ten vie­le Ange­hö­ri­ge, alles zu tun, um das Löse­geld auf­zu­trei­ben. Auch Human Rights Watch berich­tet über die Prak­ti­ken der Ent­füh­rer. Die Löse­geld­for­de­run­gen belau­fen sich auf zwi­schen 5000 und 40.000 US-Dollar.

Wer­den die Ent­führ­ten nicht frei­ge­kauft, droht ihnen, dass ihnen Orga­ne ent­nom­men wer­den – ein wei­te­res lukra­ti­ves Geschäft für die Täter. Dabei arbei­ten offen­bar ägyp­ti­sche Ärz­te mit den Tätern zusam­men. Nach einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Frak­ti­on die Lin­ke lie­gen der Bun­des­re­gie­rung Hin­wei­se vor, „wonach im Zeit­raum 2010 bis 2011 ein Bedui­nen­stamm im Nord-Sinai Migran­ten aus dem Bereich Sub­sa­ha­ra ent­führt und ihnen Orga­ne zum Wei­ter­ver­kauf an ägyp­ti­sche Kran­ken­häu­ser ent­nom­men habe.“ Etwa 200 bis 250 Per­so­nen sol­len Opfer die­ser Pra­xis gewor­den sein, nicht weni­ge sei­en durch die Ein­grif­fe zu Tode gekom­men sein.

Ägyp­tens Behör­den gehen nicht gegen die Täter vor – aber gegen die Opfer

Obwohl die Stand­or­te der Lager, in denen die Migran­ten und Flücht­lin­ge fest­ge­hal­ten wer­den, teils bekannt sind, gibt es kaum Berich­te über Poli­zei­ak­tio­nen gegen die Men­schen­händ­ler. Statt­des­sen gehen die ägyp­ti­schen Sicher­heits­be­hör­den gegen Migran­ten und Flücht­lin­ge vor. Eine Doku­men­ta­ti­on von Al Jaze­era lässt einen Bedui­nen zu Wort kom­men, der ägyp­ti­schen Sicher­heits­kräf­ten Kol­la­bo­ra­ti­on mit den Men­schen­händ­lern vorwirft.

Gene­rell wer­den auf­ge­grif­fe­ne Flücht­lin­ge und Migran­ten in Ägyp­ten meist unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen inhaf­tiert. Nach Infor­ma­tio­nen von Amnes­ty Inter­na­tio­nal wur­de in den letz­ten Jah­ren kei­nem ein­zi­gen eri­tre­ischen Asyl­su­chen­den Zugang zum UNHCR in Kai­ro gewährt. PRO ASYL lie­gen zahl­rei­che Namen von eri­tre­ischen, suda­ne­si­schen und äthio­pi­schen Schutz­su­chen­den vor, die in Ägyp­ten meist ohne jeden Zugang zum UNHCR inhaf­tiert sind. Unter den Inhaf­tier­ten sind Min­der­jäh­ri­ge und Frau­en. Ein Teil die­ser Flücht­lin­ge fiel im Sinai Men­schen­händ­lern zum Opfer und wur­de von Ange­hö­ri­gen mit hohen Löse­geld­sum­men frei­ge­kauft. Die Opfer sind in vie­len Fäl­len schwer trau­ma­ti­siert, in eini­gen Fäl­len kör­per­lich verstümmelt.

Auf Flücht­lin­ge und Migran­ten, die ver­su­chen, die Gren­ze zu Isra­el zu über­win­den, wird scharf geschos­sen. Der CNN-Bericht zeigt Mas­sen­grä­ber von Hun­der­ten getö­te­ten Flücht­lin­gen und Migran­ten. Flücht­lin­ge, die es schaf­fen, die Gren­ze zu über­que­ren, wer­den in vie­len Fäl­len in Isra­el inhaftiert.

Die Ent­schlie­ßung des Euro­pa-Par­la­ments, die Ägyp­ten, Isra­el und die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft auf­for­dert, ihre Bemü­hun­gen zur Bekämp­fung des Men­schen­schmug­gels und ‑han­dels „zu inten­si­vie­ren“ hat bis­her nicht zur Zer­schla­gung der Lager der Men­schen- und Organ­händ­ler geführt. Es ist zu befürch­ten, dass die Täter ihrem mör­de­ri­schen Geschäft wei­ter­hin fast unbe­hel­ligt nach­ge­hen können.

Ange­sichts des­sen rufen eri­tre­ische Flücht­lin­ge anläss­lich des Mur­si-Besu­ches am mor­gi­gen Diens­tag zur Demons­tra­ti­on auf. Sie for­dern „Stoppt den Men­schen­raub und Organ­han­del auf dem Sinai“ und die „Frei­las­sung aller afri­ka­ni­scher Flücht­lin­ge in Ägyp­ten“. PRO ASYL hat sich im Vor­feld des erwar­te­ten ägyp­ti­schen Staats­be­suchs in Ber­lin an Prä­si­dent Mur­si gewandt und sei­ne Regie­rung auf­ge­for­dert, end­lich ent­schlos­sen gegen Men­schen­han­del vor­zu­ge­hen und die Inhaf­tie­rung von Flücht­lin­gen in Ägyp­ten zu been­den. PRO ASYL rief außer­dem die Bun­des­re­gie­rung auf, gegen­über der ägyp­ti­schen Regie­rung mit Nach­druck auf die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen von Flücht­lin­gen im Sinai hin­zu­wei­sen und sich zügig für die Frei­las­sung der inhaf­tier­ten Schutz­su­chen­den einzusetzen.

Wei­te­re Medi­en­be­rich­te zur Situa­ti­on von Flücht­lin­gen im Sinai:

http://www.guardian.co.uk/world/2012/feb/14/egypt-bedouin-kidnap-refugees-israel

http://www.derwesten.de/politik/entfuehrer-verkaufen-organe-von-geiseln-in-aegypten-id7481625.html

http://www.tagesspiegel.de/politik/organhandel-auf-dem-sinai-tatort-aegypten/7628276.html

http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013–01/organraub-beduinen-sinai-aegypten-menschenrechtsausschuss

www.welt.de/politik/ausland/article13723382/Das ‑blutige-Geschaeft-mit-Organen-vor-Israels-Grenze.html