29.03.2012
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Wenn Justitia nichts sieht, heißt das nicht unbedingt, dass sie unparteiisch ist. Foto: flickr / dierk schaefer

Mitglieder des Flüchtlingsrates Brandenburg wurden wegen übler Nachrede verurteilt. Ihr „Vergehen“: Sie hatten es gewagt, eine Behördenmitarbeiterin öffentlich für ihr Fehlverhalten zu kritisieren.

Wie konn­te es pas­sie­ren, dass die Jus­ti­tia mit der Augen­bin­de, Ende des 15. Jahr­hun­derts einst als Ver­spot­tung der Blind­heit der Jus­tiz ent­stan­den, spä­ter zum Sym­bol ihrer Unpar­tei­lich­keit wur­de? Die Bin­de trägt Jus­ti­tia, wann sie will. In deut­scher Tra­di­ti­on legt sie die Bin­de beson­ders ger­ne an, wenn es um Fehl­ver­hal­ten von Staats­be­diens­te­ten geht.

So etwa aktu­ell beim Amts­ge­richt Pots­dam. Das ver­ur­teil­te zwei Mit­glie­der des Flücht­lings­ra­tes Bran­den­burg wegen übler Nach­re­de zu Geld­stra­fen. Sie hat­ten den Nega­tiv­preis „Denk­zet­tel für struk­tu­rel­len und sys­tem­im­ma­nen­ten Ras­sis­mus“ an das Rechts­amt der Stadt Bran­den­burg ver­lie­hen, aber auch die beson­de­re Fehl­leis­tung einer Mit­ar­bei­te­rin die­ses Rechts­amts mit Namens­nen­nung kennt­lich gemacht.

Die­se hat­te, offen­bar den struk­tu­rel­len Ras­sis­mus der Behör­de inter­na­li­sie­rend, einem afri­ka­ni­schen Flücht­ling in einem Rechts­gut­ach­ten unter­stellt, sei­ne Gehör­lo­sig­keit nur vor­zu­täu­schen – obwohl ihr fach­ärzt­li­che Beschei­ni­gun­gen vor­la­gen, die sei­ne Gehör­lo­sig­keit belegten.

Das Amts­ge­richt Pots­dam urteil­te jedoch, die per­so­na­li­sier­te Kri­tik des Flücht­lings­ra­tes an der Mit­ar­bei­te­rin sei unbe­rech­tigt. Der Flücht­lings­rat habe den Wahr­heits­be­weis für die Behaup­tung nicht füh­ren kön­nen, die Mit­ar­bei­te­rin des Rechts­am­tes habe „absicht­lich und bewusst vor­lie­gen­de Fak­ten igno­riert, um Grün­de für eine Ableh­nung der Auf­ent­halts­er­laub­nis vor­brin­gen zu kön­nen“. Die Beam­tin hat­te sich nach ihren Anga­ben dar­auf ver­las­sen, dass sie sich auf Ein­schät­zun­gen ande­rer Kol­le­gen der Aus­län­der­be­hör­de und der Bun­des­po­li­zei­di­rek­ti­on stüt­zen könn­te. Die Gesamt­ak­te habe ihr ohne­hin nicht zur Ver­fü­gung gestanden.

So etwas genügt in Deutsch­land alle­mal: Teil­zu­stän­dig­keit, blin­des Ver­trau­en auf ande­re, Akte nicht da – die gute alte orga­ni­sier­te Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit, übli­ches Ver­wal­tungs­han­deln, des­sen Aus­wir­kun­gen im Ernst­fall als Natur­ka­ta­stro­phe dar­stellt wer­den. Und wenn eine Mit­ar­bei­te­rin des Rechts­am­tes auf die Idee kommt, ein Afri­ka­ner täu­sche Gehör­lo­sig­keit nur vor – wie kommt man da bloß auf struk­tu­rel­len Rassismus? 

Genau so funk­tio­niert struk­tu­rel­ler Ras­sis­mus, sagt der Flücht­lings­rat Bran­den­burg: „Wenn Flücht­lin­gen in Behör­den mit einem grund­le­gen­den Miss­trau­en begeg­net und vor­ab unter­stellt wird, sie wür­den lügen. Wenn auf Basis die­ser Vor­ein­ge­nom­men­heit ver­meint­li­che Indi­zi­en für ver­mu­te­te Falsch­be­haup­tun­gen gesam­melt und – sobald sie Bestand­teil der Akte sind – unhin­ter­fragt als Fak­ten kol­por­tiert wer­den, wäh­rend ande­re Infor­ma­tio­nen und Bele­ge, die die Anga­ben der Flücht­lin­ge bestä­ti­gen, igno­riert wer­den. Wenn schließ­lich auf sol­chen Grund­la­gen Ent­schei­dun­gen getrof­fen wer­den, die für Flücht­lin­ge von exis­ten­zi­el­ler Bedeu­tung sind – wie hier die Ver­wei­ge­rung des Auf­ent­halts­rech­tes und damit die Mög­lich­keit, ein nor­ma­les Leben zu führen.“

Das Urteil des Amts­ge­richts lau­te­te auch, der Ras­sis­mus­vor­wurf sei „ehr­ab­schnei­dend“. Und der Behör­den­mit­ar­bei­te­rin liegt viel an ihrer Ehre und der des Staa­tes. Laut Pots­da­mer neu­es­ter Nach­rich­ten vom 27.3.2012 mahn­te sie sogar an, der vom Flücht­lings­rat ver­ge­be­ne Denk­zet­tel­preis müs­se gene­rell straf­recht­lich über­prüft wer­den. Er sei ein Angriff auf die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung und Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ter könn­ten auf die­se Wei­se beein­flusst werden.

Da könn­te ja jemand auf die Idee kom­men, dass behörd­li­che Mono­pol an inter­ner Beein­flus­sung und Len­kung von Behör­den­han­deln öffent­lich in Fra­ge zu stel­len. Genau das aber will der Flücht­lings­rat wei­ter tun. Rechts­mit­tel gegen das Urteil sind bereits eingelegt.