07.11.2014
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Weil seine Mutter heimlich Frauen unterrichtete, wurde Bejans Familie in Afghanistan von radikalen Taliban bedroht. Heute lebt er in Bad Orb (Hessen).

Bejan (15) kam vor knapp zwei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland. Heute gibt er bereits Deutschkurse für andere Flüchtlinge, bald geht er in die Oberstufe. Die STIFTUNG PRO ASYL fördert in Kooperation mit der Start-Stiftung junge Flüchtlinge wie Bejan au

Bejan, du bist vor zwei Jah­ren aus Afgha­ni­stan geflo­hen. Warum? 

Mei­ne Mut­ter war Schul­lei­te­rin in Herat. Sie hat sich für Frau­en­rech­te und Men­schen­rech­te ein­ge­setzt, zum Bei­spiel hat sie wäh­rend der Herr­schaft der Tali­ban heim­lich Frau­en bei uns zu Hau­se unter­rich­tet. Des­we­gen hat­ten wir Pro­ble­me mit den Tali­ban. Mein Vater war Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät.  Ich habe die Schul­zei­tung gestal­tet und habe Repor­ta­gen und Arti­kel über Kin­der­ar­beit, die Bil­dungs­si­tua­ti­on und wei­te­re The­men, die etwas mit Jugend­li­chen und Bil­dung zu tun haben, geschrie­ben. Das alles war ein Pro­blem für uns.

Wie bist du nach Deutsch­land gekommen?

Mit mei­ner Mut­ter und mit mei­nem Vater. In der Tür­kei haben wir mei­nen Vater ver­lo­ren. Wir hat­ten unge­fähr ein Jahr kei­nen Kon­takt zu ihm. Aber wir haben ihn zum Glück wie­der­ge­fun­den. Wir haben dann einen Antrag für ihn gestellt, und es hat jetzt end­lich geklappt, dass er hier­her zu uns kom­men konn­te. Das ist ein­fach toll. Wir hat­ten uns ein Jahr und zehn Mona­te lang nicht gesehen.

Du sprichst super deutsch und ab nächs­tem Jahr gehst du in die Ober­stu­fe. Wir sind beein­druckt. Wie hast du das in so kur­zer Zeit geschafft?

Ich habe gute Leh­rer, die mir viel gehol­fen haben. Hier in Deutsch­land kam ich zuerst in die Jos­sa­tal-Schu­le in Joss­grund – eine Haupt­schu­le – dort habe ich vor allem Deutsch gelernt. Dann bin ich zur Hen­ry-Har­nisch­fe­ger-Schu­le gewech­selt. Das ist eine Gesamt­schu­le. Ich bin jetzt auf gym­na­sia­lem Niveau und nächs­tes Jahr gehe ich dann in die Ober­stu­fe. Ich habe mich auch bei der Jugend­feu­er­wehr ange­mel­det und habe ange­fan­gen in Musik­ver­ein Lohr­haup­ten Schlag­zeug zu ler­nen. Dadurch habe ich mich bes­ser gefühlt und auch mein Deutsch verbessert.

Wenn du an die Zeit zurück­denkst, als du hier ange­kom­men bist – wie war das damals für dich? 

Am Anfang war es sehr schwer. Ich habe die gan­ze Zeit Eng­lisch gere­det. Wir haben in einem klei­nen Dorf gelebt, in Flörs­bach­tal, in der Nähe von Bay­ern. Ich bin jeden Mor­gen eine Stun­de mit dem Bus gefah­ren, das war auch sehr schwer für mich. Ande­rer­seits habe ich mich auch gut gefühlt weil wir end­lich in Sicher­heit waren.

In Groß­städ­ten denkt man, dass in den klei­nen Dör­fern eher kon­ser­va­ti­ve Men­schen leben, die Aus­län­der nicht so ger­ne mögen. Stimmt das? 

Nein! Es war ganz schön dort in Flörs­bach­tal! Die Leu­te haben uns sehr viel gehol­fen, sie waren sehr nett. Wir wohn­ten in einem klei­nen Asyl­heim, mit einer ande­ren Fami­lie in einem Haus. Das war gut, viel bes­ser als das gro­ße Asyl­heim davor. Im August sind wir dann nach Bad Orb gezo­gen, in eine eige­ne Wohnung.

Wie gefällt es dir in Bad Orb? Was machst du so in dei­ner Freizeit?

Bad Orb ist sehr schön, eine klei­ne, coo­le Stadt. Die Leu­te hier sind auch sehr nett. Da Bad Orb eine Kur­stadt ist, sieht man jeden Tag ganz vie­le älte­re Men­schen mit denen man sich unter­hal­ten kann. Es gibt auch ein Alters­heim in Bad Orb, aber da hört man manch­mal sehr trau­ri­ge Geschich­ten. Ich woh­ne jetzt auch näher an mei­ner Schu­le und das ist auch ein Vorteil.

Du bist erst seit 2013 hier, aber du hilfst schon ande­ren beim Ler­nen, richtig?

Ja, in der Schu­le. Auch mei­nen bei­den Nach­bar­kin­dern gebe ich Nach­hil­fe in Mathe und Eng­lisch. Ich hab jetzt auch ange­fan­gen in dem Heim für Asyl­be­wer­ber deutsch zu unter­rich­ten. Ich hel­fe auch den ande­ren afgha­ni­schen Asyl­be­wer­bern, die in Bad Orb woh­nen. Ich weiß wie schwer es ist ohne oder mit gerin­gen Sprach­kennt­nis­sen zu leben. Außer­dem spie­le ich Schlag­zeug in der Schul­band und manch­mal sin­ge ich auch. Auf Eng­lisch, manch­mal auch auf Deutsch, aber das klappt nicht so.

Was für Musik macht ihr?

Wir spie­len Songs quer­beet durch alle Musik­rich­tun­gen. Mein Lieb­lings­lied heißt Coun­ting Start von One Republic.

Du besuchst gera­de die zehn­te Klas­se, dann kommt die Ober­stu­fe und das Abi. Was möch­test du mal werden? 

Ich mag Jura, Archi­tek­tur und Mode­de­sign. Ich muss noch über­le­gen, was genau. Jura inter­es­siert mich, weil ich an Poli­tik inter­es­siert bin. Ich kann mir vor­stel­len, als Rechts­an­walt viel­leicht auch als Poli­ti­ker zu arbei­ten, aber ich weiß noch nicht genau, in wel­chem Feld.

Wie hast du denn von der Mög­lich­keit eines START-Sti­pen­di­ums erfahren? 

Mei­ne Klas­sen­leh­re­rin hat mir davon erzählt. Sie hat mir einen Fly­er gege­ben. Dann habe ich mich online ange­mel­det und mich bewor­ben und es hat geklappt, ich bin auf­ge­nom­men wor­den. Die Bewer­bung lief in drei Schrit­ten: Bewer­bung, Lebens­weg und ein Aus­wahl­ge­spräch in Frank­furt. Es gibt vie­le Ver­an­stal­tun­gen und Semi­na­ren zu ver­schie­de­nen The­men bei START. Es macht rich­tig Spaß. Es ist eine Mul­ti-Kul­ti Atmo­sphä­re, wir sind wie eine klei­ne Familie.

Im Rah­men des Sti­pen­di­ums bekommst Du einen Lap­top und 100 Euro im Monat. Was machst du damit?

Ich neh­me Nach­hil­fe­stun­den in Deutsch, in der Schu­le bin ich dar­in noch nicht so gut. Die bezah­le ich von den 100 Euro, die ich Monat bekom­me. Außer­dem hat­te ich vor­her zwar einen Tablet-Com­pu­ter, aber kei­nen Dru­cker. Mit dem Lap­top will ich künf­tig auch von zu Hau­se aus Sachen desi­gnen. Bis­her habe ich das noch in der Schu­le gemacht.

Noch eine Fra­ge: Wie sieht es für dei­ne Mut­ter aus? Wird sie wie­der als Leh­re­rin arbei­ten, hier in Deutschland?

Sie besucht gera­de einen Deutsch­kurs. In Flörs­bach­tal hat sie als Kin­der­be­treue­rin gear­bei­tet bei einem För­der­ver­ein. Ich weiß nicht, ob es mit dem Unter­rich­ten klap­pen wird. Ihre Zeug­nis­se hat sie mit­ge­bracht, aber sie hat sie noch nicht über­set­zen las­sen. Sie möch­te auf jeden Fall wie­der mit Schü­lern und Kin­dern arbeiten.

Seit 2002 gibt es das START-Schü­ler­sti­pen­di­um für enga­gier­te Jugend­li­che mit Migra­ti­ons­bio­gra­phie. Auch Kin­der von Flücht­lin­gen wer­den geför­dert. Leben im Lager, Ein­schrän­kung der Bewe­gungs­frei­heit durch Resi­denz­pflicht und ver­ord­ne­te Armut durch das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz müs­sen vie­le von ihnen täg­lich erle­ben. Eini­ge leben jah­re­lang in stän­di­ger Angst vor der Abschie­bung. Durch die Koope­ra­ti­on mit START setzt sich die STIFTUNG PRO ASYL für die­se Jugend­li­chen ein.

Durch das START-Sti­pen­di­um erhal­ten sie ein monat­li­ches Bil­dungs­geld, eine PC-Grund­aus­stat­tung mit Inter­net­an­schluss sowie inten­si­ve Bera­tung und Beglei­tung. Sie neh­men an zahl­rei­chen Bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen im Rah­men des Sti­pen­di­ums teil. Sie erwer­ben Kom­pe­ten­zen, die ihnen hel­fen, für sich selbst ein­zu­ste­hen und sich in der Gesell­schaft zu enga­gie­ren. Sie wer­den Teil eines Netz­werks von Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten aus ganz Deutschland.

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