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Widerspruch gegen Baugenehmigung einer Flüchtlingsunterkunft in Harvestehude
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat mit einer Entscheidung vom 22. Januar 2015 (Az. 9 E 4775/14) die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs von Nachbarn gegen die im Hamburger Stadtteil Harvestehude erteilte Baugenehmigung für eine Flüchtlingsunterkunft angeordnet. Abgesehen von der Frage, wie korrekt hier im Detail geltendes Baunutzungsrecht interpretiert wird, ist es bemerkenswert, wie in der Entscheidungsbegründung des Gerichts die Lebensrealität in Flüchtlingsunterkünften beschrieben wird. Die von der Stadt zunächst genehmigte Nutzung sei keine Wohnnutzung. Bei der Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen fehle es „an der auf Dauer angelegten Häuslichkeit und an der Freiwilligkeit des Aufenthalts. Diese Personengruppen werden aus Notsituationen heraus und aufgrund des Umstands, dass sie über keine eigene Wohnung verfügen, in Unterkünften untergebracht. In jedem Fall ist dies nicht auf Dauer angelegt, sondern soll durch Umzug in eine eigene Wohnung oder durch Beendigen des Aufenthalts beendet werden. Dass die Unterbringungsdauer nach Auskunft der Beigeladenen in der überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich mehr als ein Jahr beträgt, ändert nichts daran, dass die Unterbringung auf eine solche Dauer nicht angelegt ist.“ Großartig: Da leben Flüchtlinge über viele Jahre hinweg in Unterkünften, die für die Unterbringung auf eine solche Dauer nicht angelegt sind, was ihnen aber angesichts der Umstände nicht als Wohnen angerechnet wird. „Gegen die Einordnung der Unterbringung als Wohnnutzung spricht im Übrigen, dass die Unterbringung nach dem Inhalt der Genehmigung nicht auf eine das Wohnen ausmachende Häuslichkeit, die ein Mindestmaß an Intimität voraussetzt, angelegt ist. Die Baugenehmigung ermöglicht die Unterbringung von einander fremden Personen in Mehrbettzimmern, die sich mit bis zu 16, u.U. sogar mehr Personen Küche und Bad teilen müssen. Daran ändert die Aufteilung des Gebäudes in Wohneinheiten nichts. Möglichkeiten, sich innerhalb der Wohneinheiten vor fremden Mitbewohnern zurückzuziehen, bestehen nicht. Dieser Mangel wird durch die vorhandenen Gemeinschaftsräume im Souterrain nicht kompensiert, denn diese stehen gerade der gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung, sollen also keinen Rückzug in Privatheit ermöglichen.“ Wohlgemerkt, das Gericht setzt sich hier nicht mit dem Antrag eines jahrelang unter solchen Umständen untergebrachten Flüchtlings auseinander und zählt diese traurigen Mängel deshalb so realistisch und erschöpfend auf, sondern mit dem Interesse der klagenden Nachbarn, die eine Störung ihres Ambientes befürchten. Das Gericht nennt „die Planbetroffenen“ an anderer Stelle eine im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbundene Einheit. Das Vorhaben der Flüchtlingsunterbringung sei auch unzulässig, weil es sich nicht um eine sogenannte kleine Anlage für soziale Zwecke handele. Andere Nutzungen, die nicht Wohnen im eigentlichen Sinne seien, könnten durchaus dann zulässig sein, wenn sich diese Nutzungsart ohne Störung dem Gebietscharakter unterordne, was unter Umständen bei Kindertageseinrichtungen der Fall sein könnte. Mit der Anzahl der gemeinsam untergebrachten Personen jeden Alters in der Flüchtlingsunterkunft, zu denen Alleinstehende und Familien unterschiedlicher Herkunft mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen an die Unterkunft und unterschiedlichen Lebensgewohnheiten gehören könnten, wachse jedoch die Möglichkeit sich auf das umgebende Wohngebiet störend auswirkender sozialer Spannungen. Interessant an dem entschiedenen Fall ist auch, dass es hier einmal um den Fall der Unterbringung einer Flüchtlingsunterkunft in ziemlich wohlhabender Umgebung geht, während man sonst oft erleben muss, dass Asylsuchende am Stadtrand untergebracht werden. Dem hat die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung vom letzten Jahr, die Unterbringung in reinen Gewerbegebieten möglich zu machen, auch noch Vorschub geleistet. Interessanterweise stellt das Hamburger Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung fest, dass es so rein in dem reinen Wohnen dienenden Gebiet gar nicht zugeht: „Zwar sind in dem Baublock, auf den sich die Schutzvorschrift hier bezieht, zahlreiche Gewerbeunternehmen angemeldet. Auch hat die Ortsbesichtigung im Rahmen des Erörterungstermins ergeben, dass ein Großteil der Gewerbebetriebe noch vorhanden zu sein scheint und dass einzelne neue Gewerbe dazu gekommen sind.“
Im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung sei nicht erkennbar, dass die vorgefundenen gewerblichen Tätigkeiten baurechtlich genehmigt worden seien. Die baurechtlichen Vorschriften für die Gegend scheinen, wenn man der Darstellung im Urteil glauben darf, bis auf das Jahr 1939 zurückzugehen. Hamburg vor dem Feuersturm. Irgendwie müssen im Chaos der Nachkriegszeit da ganz andere Gewerbe eingesickert sein. Die lokale Flüchtlingsinitiative hat sich zur Entscheidung kritisch geäußert.