01.09.2012

Newsletter Sep 2012

PRO ASYL hat sich bereits anläss­lich des 20. Jah­res­ta­ges des Pogroms in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen in einer News vom 24. August 2012 zu der Geschich­te der „Dop­pel­flücht­lin­ge“ geäu­ßert und gibt die­se nun in einer erwei­ter­ten Fas­sung wieder.

Beim offi­zi­el­len Geden­ken an das Pogrom von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen 1992 hagel­te es Bekennt­nis­se gegen Rechts­extre­mis­mus. Doch wo in der Debat­te um Ros­tock blei­ben eigent­lich die Flücht­lin­ge? Zu Beginn der 1990er Jah­re ließ West­deutsch­land Flücht­lin­ge in gro­ßer Zahl nach Ost­deutsch­land brin­gen – trotz der anhal­ten­den Anschlä­ge auf Asyl­su­chen­de und ande­re Nicht-Deut­sche. Tau­sen­de flo­hen vor der rechts­extre­men Gewalt zurück nach Westdeutschland.

Auch dort hat­te es in den 1980er Jah­ren Fäl­le von rechts­extre­mer Gewalt gege­ben. Aber der Osten stand für Pogrom­stim­mung. Ange­sta­chelt durch einen ras­sis­ti­schen öffent­li­chen Dis­kurs kam es zu einer flä­chen­de­cken­den Wel­le von Angrif­fen auf Migran­tin­nen und Migran­ten. Bei­spiel­haft für vie­le ande­re steht der Angriff auf das Lager Leisnig/Sachsen.
Im Zuge des Anschla­ges wur­de das Flücht­lings­la­ger ver­wüs­tet, zahl­rei­che Schutz­su­chen­de wur­den schwer ver­letzt. 12 Jugend­li­che wur­den vor­läu­fig fest­ge­nom­men, aber am nächs­ten Tag wie­der auf frei­en Fuß gesetzt. Eine Grup­pe von 30 Flücht­lin­gen aus dem Lager Leis­nig – dar­un­ter zahl­rei­che Kin­der – floh zurück nach Schwalbach/Hessen und bat um Wie­der­auf­nah­me und Schutz. Im Lager Schwal­bach hat­ten sie zuvor einen Asyl­an­trag gestellt und waren von dort zwangs­wei­se nach Sach­sen ver­teilt wor­den. „Wir sind nicht zurück­ge­kehrt aus der DDR, wir sind geflo­hen aus der DDR“, so äußer­te sich einer der betrof­fe­nen Asylsuchenden.

Infol­ge einer Rege­lung im Eini­gungs­ver­trag 1990 wur­den Flücht­lin­ge, die im West­teil des ver­ei­nig­ten Deutsch­land einen Asyl­an­trag gestellt hat­ten, in gro­ßer Zahl in die fünf neu­en Län­der geschickt. Inner­halb einer Über­gangs­frist von zwei Mona­ten – zwi­schen dem 3. Okto­ber und dem 1. Dezem­ber 1990 – muss­ten die ost­deut­schen Bun­des­län­der qua­si über Nacht ein Flücht­lings­auf­nah­me­sys­tem aus dem Boden stamp­fen. PRO ASYL stell­te damals fest, dass Flücht­lin­ge qua­si in einen rechts­frei­en Raum ver­schickt wur­den.
Die Lager und Unter­brin­gun­gen ver­füg­ten kaum über eine funk­tio­nie­ren­de Infra­struk­tur und aus­rei­chen­de Auf­nah­me­ka­pa­zi­tä­ten. Flücht­lin­ge berich­te­ten von „unzu­mut­ba­ren Unter­künf­ten, Iso­la­ti­on, feh­len­der Bera­tung und Hil­fe, man­geln­der Ver­sor­gung und vor allem von Dis­kri­mi­nie­rung und Angrif­fen aus der Bevöl­ke­rung“, heißt es in einer Doku­men­ta­ti­on des Frank­fur­ter Flücht­lings­bei­rats vom April 1991.
Trotz­dem karr­ten bereits am 10. Dezem­ber 1990 Bus­se aus Ham­burg und am 17. Dezem­ber aus Hes­sen die ers­ten Asyl­su­chen­den in den Osten der Repu­blik: nach Hoyers­wer­da, nach Bran­den­burg, nach Ros­tock. Die Ent­wick­lung, die 1992 im Pogrom von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen gip­fel­te, wur­de bil­li­gend in Kauf genom­men.
Zurück im Wes­ten muss­ten die „Dop­pel­flücht­lin­ge“ um ihre Wie­der­auf­nah­me kämp­fen, wäh­rend wei­ter­hin Schutz­su­chen­de in die ost­deut­schen Lager und Unter­brin­gun­gen geschickt wur­den. Bei den Gedenk­ver­an­stal­tun­gen 20 Jah­re nach dem Pogrom von Ros­tock dro­hen ihre zwei­te Flucht und ihre ver­zwei­fel­te Suche nach einer „inlän­di­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve“ in Ver­ges­sen­heit zu geraten.

Weit­ge­hend unbe­ach­tet blieb auch, dass bereits vor Beginn der Ver­tei­lung von Asyl­su­chen­den in die öst­li­chen Bun­des­län­der rechts­extre­me Gewalt­ta­ten an der Tages­ord­nung waren, die sich nicht nur gegen Ein­zel­ne rich­te­ten. Meh­re­re hun­dert Per­so­nen grif­fen im Sep­tem­ber 1991 ein Wohn­heim für (DDR-) Ver­trags­ar­beit­neh­mer in Hoyers­wer­da (Sach­sen) an, spä­ter ein Flücht­lings­wohn­heim. Das Land­rats­amt kam zu einer bezeich­nen­den Ein­schät­zung der Lage: Es bestehe eine ein­heit­li­che Auf­fas­sung dazu, dass eine end­gül­ti­ge Pro­blem­lö­sung nur durch Aus­rei­se der Aus­län­der geschaf­fen wer­den kön­ne. Amt­li­che Kapi­tu­la­tio­nen vor dem rech­ten Mob bis hin zur Kol­la­bo­ra­ti­on haben eine lan­ge Tradition.