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Kritische Nachfrage zur Stimmungsmache gegen Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien
Die Bundesregierung hat am 24. April 2013 eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke zur „Haltung der Bundesregierung zum Umgang mit EU-Bürgerinnen und Bürgern aus Rumänien und Bulgarien“ beantwortet (BT-Drucksache 17/12895). Überraschenderweise und teilweise im Widerspruch zur öffentlichen Äußerung etwa des Bundesinnenministers im Mai, vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich bei der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nicht in erster Linie um sogenannte „Armutsflüchtlinge“ handele. Ein erheblicher Anstieg der Arbeitslosigkeit von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen sei nicht feststellbar. Die Arbeitslosigkeit der EU-Bürgerinnen und Bürger aus diesen Staaten liege deutlich unter der Durchschnittsquote für die ausländische Gesamtbevölkerung. Tatsächlich ist die Zahl der in Deutschland lebenden rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen innerhalb eines Jahres um jeweils mehr als ein Viertel angestiegen. Ein Großteil von ihnen lebt bereits seit mehr als einem Jahr in Deutschland. Für das Jahr 2011 nennt die Bundesregierung eine Zahl von insgesamt 163.000 rumänischen und bulgarischen Saisonarbeitnehmern in Deutschland. Damit hat ungefähr die Hälfte der Staatsangehörigen aus diesen beiden Staaten diesen Status. Mit 9,6 Prozent ist die Arbeitslosigkeit unter Staatsangehörigen Bulgariens und Rumäniens niedriger als im Durchschnitt aller Ausländer (16,4 Prozent).
Für die von Bundesinnenminister Friedrich geforderte Verschärfung der Ausweisungspraxis und die Verhängung von Wiedereinreisesperren geben die in der Anfrage genannten Zahlen wenig her. In den Jahren 2011 und 2012 gab es insgesamt etwa jeweils 600 Ausreiseentscheidungen gegen Staatsangehörige Bulgariens oder Rumäniens. Wahrlich Marginalien des Migrationsgeschehens.
Gefragt nach ihren Erkenntnissen, in welchem Umfang Menschen zum Sozialleistungsbezug einreisen, äußert sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Frage 16 ausweichend und legt keine eigenen Zahlen vor, die es auch kaum geben dürfte. In seiner Antwort auf Frage 14 wird die Methode deutlich, mit der sich Bundesinnenminister Friedrich die Lufthoheit über den Stammtischen sichern möchte. Gerade um das EU-Freizügigkeitsrecht zu schützen, müsse man seine Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten. Und deswegen sei es schließlich erforderlich, auf Missbrauch – der eben in der Antwort der Bundesregierung nie belegt wird – konsequent zu reagieren und deswegen wieder die Freizügigkeit zu beschränken. Die Erhaltung der Freizügigkeit durch Freizügigkeitsbeschränkungen – Orwellscher Newspeak. Der Bundesinnenminister hat sich in der Debatte als Zündelfrieder erwiesen, der Verständnis heischt für den einfachen Bürger, aber in Kauf nimmt, dass auch der Mob zur Tat schreitet. So hat Friedrich am 24. Februar 2013 in der Rheinischen Post formuliert: „Wenn die Menschen in Deutschland das Gefühl bekommen, dass ihre Solidarität und ihre Offenheit missbraucht und unsere Sozialkassen geplündert werden, dann wird es berechtigten Ärger geben.“ Es ist eigentlich Aufgabe einer Regierung, der „Politik nach Gefühl“ Fakten entgegenzusetzen. Doch die von ihm im selben Gespräch mit der Rheinischen Post verwendete Formulierung vom „Sprengsatz für die Solidarität“ ist eine ausgesprochene Geschmacklosigkeit, wenn nicht mehr.