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Ein Jahr nach Farmakonisi: Überlebende reichen Klage gegen Griechenland ein
Am 20. Januar 2015 hat ein Anwaltsteam mit Unterstützung durch PRO ASYL Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Griechenland eingereicht. Vor der griechischen Insel Farmakonisi starben in der Nacht zum 20. Januar 2014 drei Frauen und acht Kinder aus Afghanistan. Ein mit 27 Flüchtlingen aus Afghanistan und Syrien besetztes Fischerboot sank im Schlepptau der griechischen Küstenwache. Die Überlebenden werfen der griechischen Küstenwache vor, sie seien bei stürmischer See mit voller Kraft zurück in Richtung Türkei gezogen worden. Die Küstenwache behauptet, sie hätte das Boot mit langsamer Fahrt in Richtung Farmakonisi geschleppt: Die Flüchtlinge schildern eine Push-Back-Operation (völkerrechtswidrige Zurückschiebung), die griechischen Behörden behaupten, eine Seenotrettungsmaßnahme durchgeführt zu haben. Nach Recherchen von PRO ASYL sind Push-Back Operationen, wie sie von den Flüchtlingen berichtet wurde, gängige Praxis, um Flüchtlingsboote in die Türkei zurückzudrängen. Sowohl die staatanwaltlichen Ermittlungsakten als auch das Gutachten eines unabhängigen Schifffahrtsexperten lassen nur einen Schluss zu: Es fand keine Rettungsoperation statt. Alle internationalen Standards der Seenotrettung wurden missachtet.
Bereits seit dem 24. Januar 2014 unterstützt PRO ASYL die Überlebenden rechtlich und humanitär. Fünf der Überlebenden haben Angehörige in Deutschland und konnten nach monatelangen Verhandlungen am 21. und 22. November 2015 legal nach Hamburg und Berlin reisen. Zehn weiteren Überlebenden wurde das humanitäre Visum, das ihnen ermöglichen würde, sicher zu ihren Verwandten in andere europäische Staaten zu gelangen, verweigert. Sie mussten wie alle anderen Schutzsuchenden in Griechenland auf gefährlichen, irregulären Wegen das Land verlassen. Der sechzehnte Überlebende der Farmakonisi-Katastrophe, ein junger Flüchtling aus Syrien, sitzt in Untersuchungshaft in Griechenland. In den nächsten Wochen findet sein Prozess statt. Die griechischen Behörden behaupten, er sei Kapitän des Schiffes gewesen und wollen ihn als Schlepper für Jahrzehnte hinter Gitter bringen. Die Überlebenden betonen: Er ist wie wir. Ein Flüchtling. Es gab überhaupt keinen Schlepper an Bord.