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Der gewaltsame Tod von Khaled B. in Dresden
Der gewaltsame Tod des 20-jährigen Asylsuchenden Khaled B. aus Eritrea scheint aufgeklärt. Er war am 13. Januar 2015 tot vor einem Gebäude gefunden worden, in dem er mit anderen Flüchtlingen lebte. Ein Mitbewohner soll Khaled B. getötet und inzwischen ein Geständnis abgelegt haben. Es ist Haftbefehl wegen Totschlags gegen einen 26-jährigen Eritreer erlassen worden. Der Fall hatte Aufsehen erregt, weil es offenbar Kommunikationspannen bei der Polizei, möglicherweise aber auch eine fehlerhafte Tatortarbeit gegeben hatte, Vorwürfe, die durch die inzwischen möglicherweise erfolgte Aufklärung nicht völlig widerlegt werden. Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, die Ermittlungen hätten bislang keine Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung ergeben. Tatsächlich hatte Khaled B. Stichverletzungen an Hals und Brust erlitten. Die Polizeiverantwortlichen geben an, man habe von Anfang an auch in Richtung eines möglichen Mordes ermittelt. Allerdings hätten weder der Notarzt noch Polizeibeamte am Tatort einen Hinweis auf ein Fremdverschulden erkennen können. Man sei zunächst von einem offenen Bruch des Schlüsselbeines ausgegangen, den sich Khaled B. bei einem Sturz hätte zugezogen haben können. Erst ein Gerichtsmediziner habe dann später die Stichverletzungen entdeckt. Zwei Tage nach Auffindung der Leiche stellte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck Strafanzeige wegen Strafvereitelung. Zum Anlass nahm er, was damals auch durch die Medien ging, nämlich, dass die Dresdener Polizei den Tatort über mehr als den Zeitraum eines Tages nach Auffindung der Leiche nicht gesichert habe, sodass Spuren verloren gegangen seien. Dieser Vorwurf steht auch nach der Aufklärung noch im Raum. Dass offenbar die Tatwaffe noch gefunden und damit ein Hinweis auf den mutmaßlichen Täter gesichert wurde, entkräftet nicht unbedingt den Vorwurf früherer Versäumnisse. Was, wenn es sich um einen externen Täter gehandelt hätte? Wären Versäumnisse bei der Tatortarbeit dann noch gutzumachen gewesen? Bleibt es also lediglich beim Kommunikationsdefizit? Allerdings: Hätte man die Leiche nicht am Auffindeort weiter untersuchen können und müssen, der immerhin nahelegte, sich mit diversen Szenarien zu befassen. Kann man tödliche Stichverletzungen vor dem Hintergrund eines offenen Schlüsselbeinbruches wirklich übersehen? Die Leiche war ja nicht vom Himmel gefallen. War denn nicht schon allein ein offener Schlüsselbeinbruch in der Auffindesituation vor dem Gebäude Anlass genug, die Spurensicherung in Richtung aller bis dahin nicht zu klärender Szenarien nach allen Seiten hin offen zeitnah vorzunehmen? Wie können Ermittler an einem Tatort auf eine der exotischsten Todesursachen kommen, die es geben kann? Eine Recherche im Internet ergibt: Der offene Schlüsselbeinbruch ist mit einem Anteil von 0,1 bis 1 Prozent an allen Frakturen am menschlichen Körper eine absolute Rarität. Die zum Tode durch Blutverlust führende offene Schlüsselbeinfraktur ohne Verbindung mit anderen Verletzungen dürfte dementsprechend ein so extrem seltenes Geschehen sein, dass sie kaum jemals ein Gerichtsmediziner auf den Tisch bekommen hat. Ein ganz normaler Rettungssanitäter oder ein Notfallmediziner, gar ein Gerichtsmediziner, dürften bei der Auffindung der Leiche an hundert andere Todesursachen in Verbindung mit Blutverlust gedacht haben, bevor sie auf den offenen Schlüsselbeinbruch getippt hätten. Was man auf den ersten Blick sieht, ist häufig davon geprägt, was man sehen will. Es bleibt abzuwarten, ob die mutmaßlichen Versäumnisse, für die sich die Medien nach Aufklärung der Tat bereits nicht mehr im geringsten interessierten, bei der Aufklärung der Tat im Gerichtssaal eine Rolle spielen werden. Die Aufklärung der Tat hat nur begrenzt zur Beruhigung des Klimas in Dresden beigetragen. Denn dies ist seit vielen Monaten problematisch. Insbesondere seit Beginn der Pegida-Proteste trauen sich viele Flüchtlinge zeitweilig kaum noch auf die Straße. Die Ausbrüche von offenem Fremdenhass treffen seit langem ansässige Migranten wie Flüchtlinge gleichermaßen.
http://www.zeit.de/2015/04/tod-asylbewerber-khaled-b-dresden