01.09.2011

Newsletter Sep 2011

Asyl­an­hö­run­gen mit Hil­fe von Video­kon­fe­renz­tech­nik“ beant­wor­tet (BT-Druck­sa­che 17/6651 und 17/6735). PRO ASYL hat­te am 11. Juli 2011 ver­öf­fent­licht, dass es in bestimm­ten Außen­stel­len des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge Anhö­run­gen gibt, die per Video-Kon­fe­renz durch­ge­führt wer­den. Aus der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung ergibt sich, dass Antrag­stel­ler mit einem Dol­met­scher in den Außen­stel­len Braun­schweig, Dort­mund, Fried­land und Bie­le­feld per Bild- und Ton­über­tra­gung ange­hört wur­den und die Ent­schei­der dabei in den Außen­stel­len Olden­burg, Braun­schweig und Düs­sel­dorf saßen. Aus der Ant­wort ergibt sich wei­ter, dass die­se Pra­xis seit Novem­ber 2010 nicht mehr in der Erpro­bungs­pha­se ist, son­dern in den regu­lä­ren Betrieb ein­ge­führt wur­de.
Anhö­run­gen von Trau­ma­ti­sier­ten, geschlechts­spe­zi­fisch Ver­folg­ten und Min­der­jäh­ri­gen wür­den grund­sätz­lich nicht mit die­ser Metho­de durch­ge­führt, so die Bun­des­re­gie­rung. Stel­le sich wäh­rend der Anhö­rung her­aus, dass eine Son­der­be­auf­trag­te oder ein Son­der­be­auf­trag­ter für die­se vul­ner­ablen Grup­pen hin­zu­ge­zo­gen wer­den müss­te, wer­de die Anhö­rung abge­bro­chen. Ein vor­ge­schal­te­tes Scree­ning, ob jemand einer sol­chen Per­so­nen­grup­pe ange­hört, gibt es jedoch bis­lang nicht, so dass ledig­lich bei Min­der­jäh­ri­gen – vor­aus­ge­setzt des­sen Min­der­jäh­rig­keit ist unstrit­tig – eine sol­che Absichts­er­klä­rung ernst genom­men wer­den kann. Hin­sicht­lich des Scree­nings wird sei­tens der Bun­des­re­gie­rung die bereits frü­her geäu­ßer­te Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Mit­ar­bei­ter des Bun­des­am­tes sei­en gene­rell sen­si­bi­li­siert, Per­so­nen mit beson­de­ren Bedürf­nis­sen wäh­rend des gesam­ten Asyl­ver­fah­rens zu iden­ti­fi­zie­ren.
Das Wesent­li­che aber ist, dass die Bun­des­re­gie­rung gezielt ver­sucht, den Begriff der per­sön­li­chen Anhö­rung (§ 24 Asyl­ver­fah­rens­ge­setz) aus­zu­höh­len. Nach ihrer Auf­fas­sung ver­langt die Anhö­rung nicht die gleich­zei­ti­ge Anwe­sen­heit der Betei­lig­ten im sel­ben Raum. Die beson­de­re Bedeu­tung der per­sön­li­chen Anhö­rung im Rah­men des gesam­ten Asyl­ver­fah­rens, bei dem die Beur­tei­lung der Glaub­wür­dig­keit des Vor­brin­gens im Vor­der­grund steht, wäh­rend Bewei­se sel­ten vor­lie­gen, wird ver­kannt bzw. dem Inter­es­se an Effek­ti­vi­tät und einer gleich­mä­ßi­gen Aus­las­tung der Bun­des­amts­au­ßen­stel­len geop­fert.
Her­aus­ge­stellt hat sich in der Zwi­schen­zeit, dass es eine Video­auf­zeich­nung der Video­an­hö­rung nicht gibt, nur das schrift­li­che Pro­to­koll. Damit ent­fällt auch der letz­te denk­ba­re Vor­teil einer sol­chen Anhö­rungs­me­tho­de, näm­lich anhand der Video­auf­zeich­nung die Pro­to­kol­lier­wei­se und mög­li­cher­wei­se dar­aus ent­stan­de­ne Miss­ver­ständ­nis­se im Rah­men des wei­te­ren Ver­fah­rens auf­klä­ren zu kön­nen. Mur­ren gibt es auch bereits inner­halb des Bun­des­am­tes, denn ein Teil der Sach­be­ar­bei­ter fühlt sich der Qua­li­tät einer adäqua­ten per­sön­li­chen Anhö­rung durch­aus ver­pflich­tet. Jeder, der ein­mal ein Inter­view gemacht hat, bei dem er in eine Kame­ra spre­chen muss­te, ohne dass der Befra­ger im sel­ben Raum war bzw. neben der Kame­ra stand, weiß, wie sehr dies dazu führt, eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Atmo­sphä­re eben nicht ent­ste­hen zu las­sen. Kame­ra- und medi­en­un­er­fah­re­ne Flücht­lin­ge dürf­ten die­se Hür­de als noch höher emp­fin­den.
Zudem: Es ist den Sach­be­ar­bei­tern und Sach­be­ar­bei­te­rin­nen des Bun­des­am­tes zumut­bar, sich mit dem Schick­sal der Betrof­fe­nen in per­sön­li­cher Anhö­rung zu kon­fron­tie­ren, ohne dass ein Medi­um dazwi­schen tritt. Empa­thie, ggf. auch Betrof­fen­heit vom Schick­sal der Antrag­stel­ler gehört zum Gehalt der per­sön­li­chen Anhö­rung. Im Übri­gen fragt man sich unwill­kür­lich: Für wel­che ande­ren Berei­che wird man künf­tig unter Effi­zi­enz- oder Sicher­heits­ge­sichts­punk­ten die per­sön­li­che Anhö­rung durch die Video-Kon­fe­renz-Metho­de erset­zen? Kommt nicht der gan­ze deut­sche Amts­be­trieb ohne per­sön­li­che Vor­spra­che aus?