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Residenzpflicht in Berlin und Brandenburg: Von der pauschalen Schikane zur gezielten Sanktion?

Brandenburgs Innenminister Woidke lobt die Lockerung der Residenzpflicht in Berlin und Brandenburg. Doch dürfen sich dort manche Flüchtlinge auch weiterhin nicht frei bewegen.
Nach Ansicht von Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) hat sich die im Juli 2010 in Kraft getretene Lockerung der Residenzpflicht voll bewährt. Vor diesem Datum war es Asylsuchenden und Geduldeten nicht gestattet, den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen, ohne vorher bei der Ausländerbehörde eine sogenannte „Verlassenserlaubnis“ einzuholen – Verstöße wurden beim ersten Mal als Ordnungswidrigkeit und dann sogar als Straftat geahndet.
Seit eineinhalb Jahren nun dürfen sich die meisten Betroffenen in den Grenzen des Bundeslands frei bewegen und, sofern sie eine spezielle Dauererlaubnis erhalten, auch in Berlin aufhalten. Woidke betonte, dass die von Gegnern der Lockerung befürchteten Konsequenzen „wie verstärktes Untertauchen, Zunahme von Straftaten, Verzögerungen von Asylverfahren mangels Erreichbarkeit“ nicht eingetreten seien – und dass sich durch die Liberalisierung die Lebenssituation der meisten Asylsuchenden und Geduldeten wesentlich verbessert habe.
Für die meisten Betroffenen ist dies richtig und sehr begrüßenswert – doch ein nicht geringer Teil der Flüchtlinge darf sich weiterhin nicht frei in Berlin und Brandenburg bewegen. Geduldete Menschen, denen die Ausländerbehörde vorwirft, ihre Identität verschleiert zu haben oder ihre Mithilfe bei der Passbeschaffung zu verweigern, sollen keine Dauererlaubnis erhalten. Nach Schätzungen des Berliner Flüchtlingsrats könnte dies bis zu 50 Prozent der Geduldeten betreffen – und das in sehr vielen Fällen zu Unrecht.
Denn schon wenn ein gültiger Reisepass fehlt, werfen die Ausländerbehörden den Betroffenen meist mangelnde Mitwirkung vor. Oft ist aber die Beschaffung eines Passes gar nicht möglich, da die Herkunftsländer Staatsangehörigkeiten nicht bestätigen, Botschaften Pässe nur gegen hohe Schmiergelder ausstellen oder den Betroffenen andere Hindernisse in den Weg stellen. Deshalb werden viele Flüchtlinge von der Liberalisierung der Residenzpflicht ausgeschlossen und faktisch bestraft. Nach Beate Selders vom Flüchtlingsrat Brandenburg wurde die Residenzpflicht, die früher als pauschale Schikane so gut wie alle Asylsuchende und Geduldete traf, so zum Sanktionsinstrument umgebaut.
Das wirft ein Schatten auf die ansonsten fortschrittliche Regelung Brandenburgs, die auch anderen Bundesländern als Vorbild diente: Mittlerweile dürfen sich residenzpflichtige Flüchtlinge auch in Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern innerhalb der Landesgrenzen frei bewegen. Eine unter anderem von Brandenburg eingebrachte Bundesratsinitiative, die dafür eintrat, die „Residenzpflicht bundesweit zum Ausnahmefall und die Bewegungsfreiheit zur Regel“ zu machen, war Ende 2010 im Bundesrat gescheitert.
Bis die längst überfällige Abschaffung der schikanösen und diskriminierenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen im ganzen Bundesgebiet bewerkstelligt ist, sind trotz des deutlichen Trends zur Liberalisierung der Residenzpflicht leider noch viele politische Hürden zu nehmen.
Mehr Informationen zum Thema Residenzpflicht: www.residenzpflicht.info/