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Flüchtlingskindern in Deutschland: Alleingelassen und Ausgegrenzt

Das UN Kinderhilfswerk (UNICEF) hat die Situation von Flüchtlingskindern in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse sind alarmierend: Von Jungendämtern und Jugendhilfe vergessen leiden Flüchtlingskinder unter rechtlicher Diskriminierung und Isolation.
Der heute von UNICEF vorgestellte Bericht „Flüchtlingskinder in Deutschland“ belegt, was Flüchtlingsorganisationen seit vielen Jahren vehement kritisieren: Die Unterbringung in Flüchtlingslagern schadet der Kindesentwicklung, kinderspezifische Fluchtgründe werden ignoriert, ihre medizinische Versorgung und ihr Zugang zu Bildung sind eingeschränkt, sie erhalten zu wenig Unterstützung durch die Jugendämter. Kurzum: Deutschlands diskriminierender Umgang mit Flüchtlingskindern verletzt Kinderrechte.
Das Fazit der Autoren ist vernichtend. „Ob beim Bildungszugang, den Möglichkeiten der Beratung und Unterstützung, der Beachtung in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren oder durch soziale Ausgrenzung: Die Benachteiligungen und Hindernisse machen die Kindheit der Flüchtlingskinder zu einem Hürdenlauf mit offenen Ausgang.“
Kindeswohlgefährdung durch Unterbringung in Flüchtlingslagern
Flüchtlingskinder müssen oft über viele Jahre hinweg in Flüchtlingslagern – den sogenannten „Gemeinschaftsunterkünften“ – leben. Die Untersuchung zeigt, dass diese Form der Unterbringung der Kindesentwicklung schadet – insbesondere während der Pubertät: In Flüchtlingslagern gibt es für die Kinder und Jugendlichen oft keinerlei Privatsphäre und es fehlt ein kindgerechtes Lernumfeld. Familien sind oft gezwungen, gemeinsam in ein bis zwei Räumen zu leben. Bäder und Küchen werden zudem oft mit weiteren Personen geteilt. Die den Betroffenen zustehende Mindestquadratmeterzahl liegt – sofern das jeweilige Bundesland dies überhaupt definiert hat – weit unter dem Niveau von Hartz IV-Empfängern. Das Leben im Flüchtlingslager wirkt darüber hinaus stigmatisierend. Schulfreunde werden aus Scham oft gar nicht erst in die Gemeinschaftsunterkunft eingeladen. UNICEF empfiehlt daher die Unterbringung in Wohnungen.
Asylbewerberleistungen: Dreifache Diskriminierung
Laut UNICEF wirken die verminderten Asylbewerberleistungen (AsylbLG) gleich mehrfach diskriminierend auf Flüchtlingskinder. Medizinische Versorgung steht ihnen nur nach vorheriger Genehmigung durch die Sozialämter und nur bei „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“ zu. Das so genannte „Sachleistungsprinzip“ garantiert ihnen noch immer nur eine Versorgung mit Essenspaketen, die Eltern keine Wahl lassen, wie sie ihre Kinder ernähren.
Gefährdungen für Kinder werden im Asyl- und Dublinverfahren oft ignoriert
Kinder haben oft eigene Fluchtgründe. Ihnen können Zwangsrekutierung als Kindersoldaten, Beschneidung, innerfamiliäre Gewalt oder auch Zwangsverheiratungen drohen. Laut UNICEF-Studie werden diese kinderspezifischen Fluchtgründe im Asylverfahren kaum beachtet. Die schlimmste Folge: Familien werden abgeschoben, obwohl nur geprüft wurde, ob den Eltern eine Gefahr droht – ob die Kinder gefährdet sind, wird laut UNICEF meist gar nicht erst abgefragt.
Dies betrifft auch und insbesondere Abschiebung im Rahmen der Dublin-Verordnung – also die Abschiebung in denjenigen EU-Staat, in dem die Flüchtlinge zuerst registriert wurden. UNICEF kritisiert, dass das Kindeswohl bei Abschiebungen in Ländern wie Bulgarien, Italien, Malta oder Zypern nicht ausreichend beachtet wird. In diesen Ländern drohen Flüchtlingen erheblichen Gefahren durch Obdachlosigkeit, Haft oder fehlende (medizinische) Versorgung. All das trifft Kinder am härtesten. UNICEF fordert daher eigene Anhörungen von Kindern und Jugendlichen im Asyl- und Dublinverfahren durch speziell geschultes Personal.
Ein Leben auf Abruf: Kinder im Status der Duldung
Der UNICEF Bericht belegt, dass Flüchtlingskinder häufig unter der aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit leiden. 25.000 Kinder und Jugendliche lebten Ende 2013 nur geduldet in Deutschland, 40.000 befanden sich im Asylverfahren. Sie alle wissen nicht: Kann ich in Deutschland bleiben? Werde ich abgeschoben? UNICEF kritisiert, dass viele Kinder über Jahre hinweg mit dieser Unsicherheit leben müssen. Die Autoren fordern daher, dass das Aufenthaltsrecht reformiert wird und Flüchtlingskindern und ihren Familien ein schneller Zugang zu Aufenthaltserlaubnissen ermöglicht wird.
Von Jugendhilfe und Jugendmigrationsdiensten vergessen
UNICEF kritisiert, dass die Hilfesysteme der Jugendämter bei Kindern, die mit ihren Eltern in Flüchtlingslagern leben, fast nicht präsent sind. Zwar habe sich die Betreuungssituation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen etwas verbessert, doch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern geflohen sind, würden erst bei einer Unterbringung in Privatwohnung ins Blickfeld der Hilfesysteme geraten. Auch von Seiten der Jugendmigrationsdienste würden Kinder mit unsicherem Aufenthaltsstatus oft keine Unterstützung erfahren. Dabei sind Flüchtlingskinder gezwungen, besonders früh erwachsen zu werden. Laut UNICEF sind sie aufgrund ihrer besseren Sprachkenntnisse häufig Dolmetscher und Mittler zwischen Eltern und Behörden, Anwälten oder Ärzten. Sie übernehmen so einen Teil der Elternrolle und sind mit existenziellen Themen und Entscheidungen konfrontiert, die sie oft massiv überfordern. Umso dringender wären Hilfsangebote nötig.
Bildungsdiskriminierung qua Gesetz
Sowohl beim Schulzugang als auch beim Übergang in Ausbildungsverhältnisse werden Flüchtlingskinder benachteiligt. Vor allem für Schüler, die älter als 16 Jahre sind, gibt es erhebliche Probleme: Geduldeten Jugendlichen kann eine betriebliche Ausbildung durch die Ausländerbehörde sogar vollständig untersagt werden. Wer mit mehr als 16 Jahren einreist hat zudem oft keine Chance eine Schule zu besuchen, da keine Schulpflicht mehr besteht und lokal spezielle Angebote fehlen. Für Jüngere gibt es regelmäßig Verzögerungen bei der Einschulung sowie Defizite bei den Sprachförderangebote. Gesetzlich vorgeschriebene Mindestaufenthaltszeiten bei BAföG und Berufsausbildungsbeihilfe behindern zudem eine Aufnahme von Studium und Ausbildung.
UNICEF-Studie „In erster Linie Kinder – Flüchtlingskinder in Deutschland“