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Nach den Protesten ist vor den Protesten

Die besetzte Gerhardt-Hauptmann-Schule in Kreuzberg soll geräumt werden, 344 Flüchtlinge müssen Berlin verlassen. Doch während die Stadt ihren Wortbruch gegenüber den Protestierenden fortsetzt, nehmen diese einen neuen Anlauf: Mitte November findet die nächste Flüchtlingskonferenz in Berlin statt.
„Nach den ganzen Repressionen am Oranienplatz und in der Schule, müssen wir sehen, wie wir unseren politischen Kampf voran bringen“, sagt Patras Bwansi, Oranienplatz-Aktivist der ersten Stunde. Nach den andauernden Wortbrüchen durch den Senat hätten viele Flüchtlinge verstanden, dass sie den Politikern nicht trauen könnten. „Viele Gruppen haben sich jetzt politisiert. Das ist gut für uns. Jetzt geht es darum, uns zu koordinieren, die Solidarität zu stärken, und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln“.
Fast sah es so aus, als habe die Stadt Berlin ihre Flüchtlingsprotestbewegung zerschlagen: Nach zweijährigem Protest, Besetzungen und Hungerstreiks war den Flüchtlingen im April in dem sognannten „Oranienplatz-Agreement“ eine Einzelfallprüfung, Unterbringung und Versorgung zugesichert worden. Doch die Stadt hielt nicht Wort, im Gegenteil: Nach der Räumung des Camps waren die Flüchtlinge in Unterkünfte in verschiedenen Stadtvierteln versprengt worden. Von hier aus wurden sie nach und nach obdachlos und mittellos auf die Straße gesetzt. Die ersten – mehr als 100 Menschen – am 26. August, weitere 99 Menschen, darunter schwer kranke, am 23. Oktober.
Inzwischen haben die Behörden bei 344 der insgesamt 553 Personen aus dem „Oranienplatz-Agreement“ entschieden, dass sie Berlin verlassen müssen. Einige sind nach Italien oder in die ihnen zugewiesenen Bundesländer zurückgekehrt. Auch für die rund 45 Menschen in der besetzten Gerhardt-Hauptmann-Schule sieht es nicht gut aus: Der Bezirk Kreuzberg ist von seiner Zusage der Umwandlung in ein selbst-verwaltetes Refugeezentrum abgewichen. Nach dem Willen der Bezirksregierung müssen die Flüchtlinge die Schule bis morgen verlassen, andernfalls droht die Räumung durch die Polizei.
Über die Zukunft der Flüchtlinge wagt Nora Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat nicht, zu spekulieren: „Was wir sicher wissen, ist, dass die Leute, die jetzt ausziehen mussten, nicht in Abschiebungshaft gekommen sind.“ Die Menschen würden mit ihren Ausweisungen auf die Straße gesetzt, nach wie vor nicht versorgt. „Die Leute sind ja in der genau gleichen Situation jetzt wie zu Beginn ihrer Proteste. Nur schlechter gestellt, weil es die Protestplattform Oranienplatz nicht mehr gibt, und weil sie namentlich in Berlin registriert sind“, sagt Brezger.
Seit dem Wegfall des Camps als Protestplattform sieht sie die Solidarität für die Flüchtlinge als nach wie vor gegeben: Viele Privatpersonen, Kirchengemeinden, Hausgemeinschaften und zum Beispiel auch das Grips Theater bieten den vom Senat auf die Straße gesetzten Flüchtlingen Obdach. Weniger geworden sei die Solidarität auf öffentlicher Ebene: „Das war anders, als es den Oranienplatz noch gab.“ Derzeit unterhalten die Refugees dort den täglich geöffneten Info-Container und einen Pavillon. Sonntagnachmittags wird laut Patras Bwansi im Refugee-Café debattiert: „Wir bleiben, und wir setzen unseren Kampf am Oranienplatz fort.“
Die Räumung des Camps im April hat ihre Spuren hinterlassen: Ein Teil der Flüchtlinge war gewillt, den Versprechungen des Senats zu glauben, und freiwillig zu räumen. Sie wurden bitter enttäuscht. Ein anderer Teil war strikt dagegen. Zu ihnen gehört Patras Bwansi, der jetzt versuchen will, die zersplitterte Bewegung wieder zu einen – mit der Flüchtlingskonferenz im November als erstem Schritt. Bwansi gehört zu den Urhebern der Protestbewegung, unter deren Forderungen ein Bleiberecht, die die Abschaffung der Lager und der Residenzpflicht sind: „Wir sind von Würzburg nach Berlin marschiert. Wir haben das Zelt auf dem Oranienplatz errichtet, und damit Widerstand gegen die inhumanen Gesetze geleistet. Die deutsche Regierung hat unsere Forderungen komplett ignoriert.“
Das inzwischen als unverbindlich erklärte „Einigungspapier“ betrachtete Bwansi von Anfang an als Räumungsstrategie für den Oranienplatz: „Wenn sie eine Lösung hätten finden wollen, hätten sie dies getan, bevor sie räumen. Wütend über die leeren Versprechungen äußert sich auch Ahmed, ein Nigerianer aus der Gruppe „African Youth Movement“. Über die deutsche Flüchtlingspolitik will er nicht länger diskutieren – vielmehr über Deutschlands Rolle bei der Ausbeutung der afrikanischen Länder: „Kein Deutscher wird in Afrika behandelt wie wir hier. Unser Geld ist willkommen, unsere Bürger nicht. Wir sind gegen die europäische Politik, gegen die europäische Industrie in Afrika“.
Sollte die Gerhard-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße tatsächlich geräumt werden, ist das für Ahmed nicht das Ende der Bewegung: „Danach wird etwas kommen. Der Protest gegen die Europäer wird sich internationalisieren. Wenn sie Afrika zerstören, werden wir uns dagegen wehren.” Die drohende Räumung der Schule ist auch für Bwansi keine Niederlage. Er gehörte zu den Besetzern, es wird ihm aber seit der ersten Räumungsaktion der Zutritt verwehrt. „Ich persönlich würde mich nicht auf das Gebäude konzentrieren, sondern die Chance nutzen, um ein Bleiberecht zu fordern und darauf, dass der Senat sich an die Vereinbarungen hält.“