»Wir kön­nen doch nicht die gan­ze Welt auf­neh­men!« Wo es um Flucht und Asyl geht, fal­len schnell sol­che Sät­ze – Sät­ze, die nicht sel­ten auf Unwis­sen und oft auf ras­sis­ti­schen Vor­ur­tei­len grün­den. Aber was ent­geg­nen, wenn der Nach­bar oder die Kol­le­gin so daherredet? 

Die drit­te, über­ar­bei­te­te Auf­la­ge der Bro­schü­re „Pro Men­schen­rech­te – Con­tra Vor­ur­tei­le“ von PRO ASYL, Ama­deu Anto­nio Stif­tung, IG Metall, ver.di und der Respekt!-Initiative der IG Metall lie­fert wich­ti­ge Fak­ten und Argu­men­te zur Debat­te über Flücht­lin­ge und Asyl­su­chen­de in Deutsch­land und Euro­pa. (Stand: Mai 2017)

Eine Über­sicht über 14 gän­gi­ge Vor­ur­tei­le – und Vor­schlä­ge für eine ange­mes­se­ne Entgegnung:

                Vor­wort

#2           Die kom­men alle nach Deutschland!?

VORWORT

Die öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen über Asyl­po­li­tik in Deutsch­land und Euro­pa sind wie­der häu­fi­ger und hef­ti­ger gewor­den. Begren­zun­gen bei der Flücht­lings­auf­nah­me wer­den gefor­dert, beglei­tet nicht sel­ten von ras­sis­ti­schen Unter­tö­nen, Ver­wei­sen auf die „frem­de“ Kul­tur oder die mus­li­mi­sche Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit von Flücht­lin­gen. Rech­te Auf­mär­sche sowie Atta­cken auf Men­schen und Flücht­lings­un­ter­künf­te haben deut­lich zuge­nom­men. In einem Teil der Gesell­schaft gibt es Unsi­cher­hei­ten, Infor­ma­ti­ons­man­gel, mit­un­ter Vor­ur­tei­le und Ressentiments.

Die recht­li­che Ver­an­ke­rung des Asyl­rechts beruht auf den Erfah­run­gen zwei­er Welt­krie­ge: Als Anspruch und Ver­pflich­tung zugleich ist sie die gemein­sa­me Ant­wort auf die Grau­sam­kei­ten von Krieg, Völ­ker­mord und Verfolgung.

Der Schutz von Flücht­lin­gen ist schon lan­ge recht­lich gere­gelt: im deut­schen Grund­ge­setz, in der EU-Grund­rech­te­char­ta und der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on sowie in der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on, die welt­weit in 147 Län­dern gül­tig ist.

Die recht­li­che Ver­an­ke­rung des Asyl­rechts beruht auf den Erfah­run­gen zwei­er Welt­krie­ge: Als Anspruch und Ver­pflich­tung zugleich ist sie die gemein­sa­me Ant­wort auf die Grau­sam­kei­ten von Krieg, Völ­ker­mord und Ver­fol­gung. Schutz­su­chen­de haben dem­nach ein Recht auf eine fai­re, indi­vi­du­el­le Prü­fung ihrer Schutz­be­dürf­tig­keit – und die­ser Anspruch lässt sich nicht kon­tin­gen­tie­ren.

Die Soli­da­ri­tät mit Flücht­lin­gen in Deutsch­land ist heu­te so groß wie nie zuvor. Vie­le Men­schen stel­len sich ras­sis­ti­scher Stim­mungs­ma­che ent­ge­gen. Um sie zu unter­stüt­zen, haben wir im Fol­gen­den Argu­men­te und Fak­ten für eine sach­li­che Dis­kus­si­on zusam­men­ge­tra­gen – im Mai 2017 bereits in drit­ter, über­ar­bei­te­ter Auf­la­ge. Im Anschluss gibt es eini­ge Tipps, wie man sich wei­ter für das Recht auf Asyl enga­gie­ren kann.

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#1           Euro­pa kann doch nicht die gan­ze Welt aufnehmen!?
NUR EIN BRUCHTEIL DER FLÜCHTLINGE KOMMT IN DIE EU.

Welt­weit sind laut dem Flücht­lings­hilfs­werk der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR) über 65 Mil­lio­nen Men­schen auf der Flucht – mehr als am Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges. Davon haben fast zwei Drit­tel nicht ein­mal die eige­nen Staats­gren­zen über­wun­den; 86 % der Flücht­lin­ge welt­weit leben in Ent­wick­lungs­län­dern.

Die aller­we­nigs­ten errei­chen Euro­pa – weil sie in der Regi­on blei­ben wol­len und auf bal­di­ge Rück­kehr­chan­cen hof­fen, oder weil sie schlicht kei­ne Mög­lich­keit haben hier­her­zu­kom­men. Eine Flucht nach Euro­pa ist teu­er und gefähr­lich. Immer mehr Staa­ten hin­dern Men­schen sys­te­ma­tisch dar­an zu flie­hen, lega­le Flucht­we­ge gibt es so gut wie nicht.

12,4 Mio.

Men­schen wur­den 2015 aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben – davon kamen etwa 8 % übers Mit­tel­meer in die EU, ein Vier­tel davon Kinder.

Im Lau­fe des Jah­res 2015 wur­den auf der Welt 12,4 Mil­lio­nen Men­schen aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben. Im glei­chen Jahr kamen etwas über eine Mil­li­on Asyl­su­chen­de, ein Vier­tel davon Kin­der, über das Mit­tel­meer in die EU. Dies ent­spricht etwa 8 % der welt­weit Geflüchteten.

Im ers­ten Halb­jahr 2016 muss­ten laut UNHCR Mid-Year Trends über drei Mil­lio­nen Men­schen ihre Hei­mat ver­las­sen, im gesam­ten Jahr 2016 über­quer­ten einem UNHCR-Bericht vom 23.12.2016 zufol­ge rund 360.000 Flücht­lin­ge das Mit­tel­meer. Wir ste­hen also kei­nes­wegs vor dem Pro­blem, dass alle Flücht­lin­ge der Welt hier Schutz suchen.

Vor einer deut­lich grö­ße­ren Her­aus­for­de­rung als die EU ste­hen die Nach­bar­staa­ten von Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten, die in kur­zer Zeit sehr vie­le Men­schen auf­neh­men, obwohl sie oft selbst wirt­schaft­lich oder poli­tisch insta­bil sind.

Bei­spiel syri­scher Bür­ger­krieg: Über fünf Mil­lio­nen Men­schen sind seit 2011 in die Nach­bar­län­der geflo­hen, wie auf dem UNHCR-Por­tal »Syria Regio­nal Refu­gee Respon­se« zu erfah­ren ist (Stand: 10.05.2017). Allein in der Tür­kei leben rund drei Mil­lio­nen von ihnen. Im klei­nen Liba­non stel­len syri­sche Flücht­lin­ge bereits seit 2014 mit über einer Mil­li­on Men­schen etwa ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung. In Syri­en selbst gibt es, Stand Ende 2016, schät­zungs­wei­se sechs Mil­lio­nen Bin­nen­ver­trie­be­ne. Dem­ge­gen­über wur­den bis März 2017 in der EU, in Nor­we­gen und der Schweiz ins­ge­samt gera­de mal knapp 920.000 Asyl­an­trä­ge von Flücht­lin­gen aus Syri­en ver­zeich­net – bei einer EU-Gesamt­be­völ­ke­rung von über 500 Mil­lio­nen Menschen.

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#2           Die kom­men alle nach Deutschland!?
WIE VIELE MENSCHEN ZU UNS FLIEHEN, HÄNGT VON VERSCHIEDENEN FAKTOREN AB. 

Hier­zu­lan­de glau­ben vie­le, alle Flücht­lin­ge wären auf dem Weg nach Deutsch­land. Rich­tig ist: Seit 2015 gehört Deutsch­land zu den Top Ten der Staa­ten, in denen sich Flücht­lin­ge auf­hal­ten. Ähn­lich vie­le oder mehr Flücht­lin­ge leben in der Tür­kei, in Paki­stan, Liba­non, Iran und Äthio­pi­en, wie aus den Glo­bal Trends 2015 und den Mid-Year Trends 2016 des UNHCR hervorgeht.

Die oft genann­te Zahl von über 1 Mil­li­on Asyl­su­chen­den, die 2015 nach Deutsch­land ein­ge­reist sei­en, wur­de zwi­schen­zeit­lich auf rund 890.000 Per­so­nen kor­ri­giert, da es vie­le Mehr­fach­re­gis­trie­run­gen und Wei­ter­rei­sen gab, wie das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern mit­teil­te. Im Jahr 2016 wur­den laut Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um in Deutsch­land rund 280.000 ankom­men­de Asyl­su­chen­de gezählt.

EU-weit ver­zeich­net die Bun­des­re­pu­blik seit 2012 die meis­ten Asyl­zu­gän­ge. Davor stand aller­dings lan­ge Zeit Frank­reich an ers­ter Stel­le, dane­ben nah­men auch Groß­bri­tan­ni­en, manch­mal sogar Schwe­den mehr Asyl­an­trä­ge ent­ge­gen als Deutsch­land, wie aus den Sta­tis­ti­ken des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge für 2007, 2009 und 2015 her­vor­geht. Setzt man die Zahl der Asyl­an­trä­ge ins Ver­hält­nis zur Ein­woh­ner­zahl, rela­ti­viert sich der Ein­druck wei­ter: Ehe die Bun­des­re­pu­blik hier 2015 an die Spit­ze rück­te, lag sie jah­re­lang im euro­päi­schen Mittelfeld.

Kei­ne Fra­ge: Für Flücht­lin­ge gibt es gute Grün­de, hier­her­zu­kom­men. Deutsch­land hat eine gefes­tig­te Demo­kra­tie und eine star­ke Wirt­schaft, poli­ti­sche und reli­giö­se Frei­hei­ten. 2016 nann­ten im Rah­men einer Stu­die u.a. des Insti­tus für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung 73 % von 4.500 befrag­ten Flücht­lin­gen als wich­tigs­ten Grund für ihre Ziel­wahl die »Ach­tung der Menschenrechte«.

Asyl- und sozi­al­recht­li­che Rege­lun­gen sind dage­gen nach For­schungs­er­kennt­nis­sen nicht gene­rell ent­schei­dend. Eine wich­ti­ge Rol­le spielt, wo Ver­wand­te oder Com­mu­ni­ties sind, etwa im Fal­le Syri­ens: Bereits vor Aus­bruch des Krie­ges leb­ten hier dem Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter zufol­ge über 30.000 syri­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge und zudem Deut­sche syri­scher Herkunft.

Für das wirt­schaft­lich star­ke Deutsch­land mit einer Bevöl­ke­rung von über 80 Mil­lio­nen Men­schen ist die gestie­ge­ne Zahl der Asyl­su­chen­den kein Grund zur Panik. Grund­sätz­lich ist immer mit Schwan­kun­gen bei den Flücht­lings­zah­len zu rech­nen. Sie hän­gen davon ab, wo und wie sich Krie­ge, huma­ni­tä­re Kata­stro­phen und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ent­wi­ckeln und wel­che Flucht­mög­lich­kei­ten und ‑wege es gibt.

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#3           Deutsch­land tut schon genug für Flüchtlinge!?
DIE BUNDESREGIERUNG UND DIE EU SCHIEBEN DIE VERANTWORTUNG WEITER.

Tat­säch­lich hat Deutsch­land vor allem seit 2015 vie­le Flücht­lin­ge auf­ge­nom­men und sie oft auch als Schutz­be­dürf­ti­ge aner­kannt. Bund, Län­der und Kom­mu­nen haben für einen Teil von ihnen erheb­li­che Inte­gra­ti­ons­an­stren­gun­gen unter­nom­men, im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Inter­es­se. Zehn­tau­sen­de Frei­wil­li­ge leis­ten mit gro­ßem Ein­satz prak­ti­sche Unterstützung.

Gleich­zei­tig hat die Regie­rung aber an vie­len Stel­len das Auf­ent­halts­recht ver­schärft, die Hür­den für eine Flücht­lings­an­er­ken­nung erhöht sowie die Abschie­bungs­pra­xis ver­schärft. So wur­de etwa Ende 2016 nach 12-jäh­ri­gem Mora­to­ri­um mit Sam­mel­ab­schie­bun­gen von afgha­ni­schen Flücht­lin­gen ins Bür­ger­kriegs­land begonnen.

Seit Mai 2015 arbei­ten Deutsch­land und die ande­ren EU-Staa­ten gemäß einem Kon­zept der EU-Kom­mis­si­on dar­an, Flücht­lin­ge, die in Euro­pa Schutz suchen, in gefäng­nis­ar­ti­gen Lagern (soge­nann­ten Hot­spots) in Grie­chen­land und Ita­li­en fest­zu­set­zen und ihre Wei­ter­rei­se in zen­tral­eu­ro­päi­sche Staa­ten zu verhindern.

In den über­füll­ten Hot­spots herr­schen teils kata­stro­pha­le Bedin­gun­gen, die u.a . von Human Rights Watch im Juni 2016 und im Janu­ar 2017 doku­men­tiert wur­den – gleich­zei­tig treibt Deutsch­land eine Neu­auf­la­ge des euro­päi­schen Ver­tei­lungs- und Zustän­dig­keits­sys­tems Dub­lin mit vor­an, die die EU-Staa­ten an den Außen­gren­zen künf­tig noch stär­ker in die Pflicht nimmt.

Seit dem EU-Tür­kei-Deal im März 2016, der maß­geb­lich auf deut­sche Initia­ti­ve hin abge­schlos­sen wur­de, macht die Tür­kei ihre Gren­zen weit­ge­hend dicht. Wer es den­noch nach Grie­chen­land schafft, läuft Gefahr, ohne Prü­fung der Asyl­grün­de in die Tür­kei abge­scho­ben zu werden.

Deutsch­land und die EU pla­nen Abkom­men mit wei­te­ren Dritt­staa­ten, die Flücht­lin­ge auf dem Weg nach Euro­pa auf­hal­ten und »zurück­neh­men« sol­len. Dabei schre­cken sie auch vor schmut­zi­gen Deals nicht zurück, so etwa bei der geplan­ten Unter­stüt­zung der Poli­zei im hef­tig umkämpf­ten Liby­en, wo Miss­hand­lun­gen und sogar Fol­ter von Flücht­lin­gen doku­men­tiert sind.

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#4           Die meis­ten sind gar kei­ne ech­ten Flüchtlinge!?
DIE GRÜNDE, DIE MENSCHEN IN DIE FLUCHT TREIBEN, WIEGEN SCHWER.

Nie­mand setzt sich leicht­fer­tig nachts in ein maro­des Boot, wis­send, dass auf offe­ner See der Tod droht. Nie­mand setzt alles aufs Spiel, lässt alles los – die Hei­mat, Besitz, Freund*innen, Ver­wand­te, viel­leicht sogar Kin­der –, nur in der Hoff­nung auf den Bezug von Sozi­al­leis­tun­gen. Wer Asyl sucht, kämpft oft ums Über­le­ben, weil im Her­kunfts­land Krieg herrscht, Ver­fol­gung droht, Dis­kri­mi­nie­rung an der Tages­ord­nung oder die eige­ne Exis­tenz in Gefahr ist.

Die größ­te Grup­pe unter den Asyl­su­chen­den in Deutsch­land sind der­zeit Flücht­lin­ge aus dem syri­schen Bür­ger­krieg – von Anfang 2015 bis Ende 2016 stell­ten sie mit 425.000 Anträ­gen über ein Drit­tel der Asy­l­erst­an­trä­ge, die wäh­rend die­ser zwei Jah­re in Deutsch­land ins­ge­samt ver­zeich­net wur­den, wie aus den Mit­tei­lun­gen des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums für 2015 und 2016 hervorgeht.

Im glei­chen Zeit­raum such­ten den­sel­ben Quel­len zufol­ge fast 160.000 Asyl­su­chen­de aus dem von Krieg und Ver­trei­bung gezeich­ne­ten Afgha­ni­stan Schutz, knapp 126.000 Men­schen aus dem ter­ror­ge­plag­ten Irak, etwa 32.000 Per­so­nen aus dem für schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen kri­ti­sier­ten Iran und rund 30.000 Per­so­nen aus Eri­trea, wo eine bru­ta­le Mili­tär­dik­ta­tur herrscht. Ins­ge­samt wur­den in den Jah­ren 2015 und 2016 knapp zwei Drit­tel aller Asy­l­erst­an­trä­ge von Men­schen aus die­sen fünf Her­kunfts­län­dern gestellt.

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Die Mehr­zahl der Asyl­su­chen­den erhält nach inhalt­li­cher Prü­fung durch das Asyl­bun­des­amt (BAMF) einen Schutz­sta­tus: 2015 waren es 61 %, im Jahr 2016 sogar 71 %, wenn man die Schutz­quo­te gemäß den Sta­tis­ti­ken des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge für 2015 und 2016 um die rein for­mel­len Ent­schei­dun­gen berei­nigt. Ein Teil der Abge­lehn­ten ist danach noch mit einer Kla­ge vor Gericht erfolgreich.

Bei den Her­kunfts­staa­ten Syri­en, Irak und Eri­trea lag die Schutz­quo­te nach inhalt­li­cher Prü­fung der Asyl­an­trä­ge im Jahr 2015 bei nahe­zu 100 %. Zwar wird inzwi­schen Flücht­lin­gen aus den Haupt­her­kunfts­staa­ten ver­mehrt nur noch ein nied­ri­ge­rer Schutz­sta­tus als die Flücht­lings­an­er­ken­nung gewährt – oft der soge­nann­te »sub­si­diä­re Schutz«. Das ändert aber nichts dar­an, dass sehr vie­le Flücht­lin­ge erst ein­mal blei­ben dür­fen, denn die Situa­ti­on in den betref­fen­den Län­dern hat sich nicht gebessert.

#5           Der Staat schiebt nicht kon­se­quent ab!?
WENN ABSCHIEBUNGEN UNTERBLEIBEN, HAT DIES OFT GUTE GRÜNDE.

»Wer kein Asyl erhält, soll sofort abge­scho­ben wer­den.« Das mag logisch klin­gen, igno­riert aber, dass es oft trif­ti­ge Grün­de gibt, war­um eine Abschie­bung nicht voll­zo­gen wird: In vie­len Fäl­len ist die Abschie­bung aus recht­li­chen oder tat­säch­li­chen Grün­den nicht mög­lich – etwa weil schwer­wie­gen­de Abschie­be­hin­der­nis­se vor­lie­gen (z.B. Krank­hei­ten) oder weil sich Her­kunfts­staa­ten wei­gern, ihre Staats­an­ge­hö­ri­gen zurückzunehmen.

Abschie­bun­gen in bestimm­te Staa­ten wer­den poli­tisch über vie­le Jah­re hin­weg nicht für ver­tret­bar gehal­ten, wie bei­spiels­wei­se nach Afgha­ni­stan oder in den Irak. Immer wie­der stop­pen Ver­wal­tungs­ge­rich­te inner­eu­ro­päi­sche Abschie­bun­gen, zum Bei­spiel nach Ungarn oder Bul­ga­ri­en, wegen der dort für Flücht­lin­ge kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen. Im Ein­zel­fall ertei­len Aus­län­der­be­hör­den wegen drin­gen­der per­sön­li­cher oder huma­ni­tä­rer Grün­de eine Duldung.

Im Lau­fe der Zeit wird Deutsch­land für vie­le »Gedul­de­te« zum Lebens­mit­tel­punkt: Sie leben, ler­nen und arbei­ten hier, bekom­men Kin­der, die hier aufwachsen.

Im Asyl­ver­fah­ren abge­lehn­te Men­schen befin­den sich oft in einer beängs­ti­gen­den und zer­mür­ben­den Lage. Vie­le rei­sen »frei­wil­lig« aus, ande­re wer­den nach lan­gen Jah­ren doch noch abge­scho­ben. Im Lau­fe der Zeit aber wird Deutsch­land für vie­le zum Lebens­mit­tel­punkt: Sie leben, ler­nen und arbei­ten hier, bekom­men Kin­der, die hier auf­wach­sen. Eine Abschie­bung wird so immer weni­ger ver­tret­bar. Des­halb wur­den auch immer wie­der so genann­te Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen beschlos­sen, nach denen lang­jäh­rig Gedul­de­te unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen eine Auf­ent­halts­er­laub­nis erhielten.

Ende 2016 besa­ßen nach Anga­ben der Bun­des­re­gie­rung von rund 556.000 in Deutsch­land leben­den Men­schen, deren Asyl­an­trag irgend­wann ein­mal abge­lehnt wor­den war, über 80 % inzwi­schen ein Auf­ent­halts­recht aus ande­ren Grün­den, z. B. auf­grund einer Blei­be­rechts­re­ge­lung oder aus fami­liä­ren Grün­den. Zum glei­chen Zeit­punkt leb­ten hier etwa 54.000 »unmit­tel­bar aus­rei­se­pflich­ti­ge« Per­so­nen (davon 12.300 Min­der­jäh­ri­ge) und 150.000 Per­so­nen mit einer Dul­dung, also einer »vor­über­ge­hen­den Aus­set­zung der Abschie­bung«. Fast ein Drit­tel der gedul­de­ten Men­schen waren Min­der­jäh­ri­ge (dar­un­ter 30.881 Kin­der unter 12 Jah­ren), über ein Vier­tel leb­te bereits seit mehr als 4 Jah­ren in Deutschland.

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#6           Unser Asyl­recht kann die Pro­ble­me der Welt nicht lösen!?
WIR SIND MITVERANTWORTLICH FÜR BEDINGUNGEN, DIE MENSCHEN IN DIE FLUCHT TREIBEN. 

Selbst­ver­ständ­lich ist die Poli­tik der west­li­chen Indus­trie­staa­ten nicht an allem schuld. Aber es ist nicht zu leug­nen, dass in die­ser Welt, in der glo­bal gehan­delt und Poli­tik gemacht wird, die west­li­chen Gesell­schaf­ten mit­ver­ant­wort­lich sind für flucht­aus­lö­sen­de Entwicklungen.

Wir brau­chen eine kon­se­quen­te­re Menschenrechts‑, Umwelt‑, Han­dels- und Agrarpolitik.

Euro­päi­sche Regie­run­gen haben sich an Krie­gen betei­ligt sowie durch Rüs­tungs­expor­te in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te Kon­flik­te ange­heizt, die kata­stro­pha­le Fol­gen hat­ten. Euro­päi­sche Fir­men lie­fern Waf­fen an in den Syri­en­krieg ver­strick­te Regio­nal­mäch­te – zum Bei­spiel an das Gewalt­re­gime Sau­di-Ara­bi­ens. Unser NATO-Part­ner Tür­kei führt im Süd­os­ten Krieg gegen die eige­ne Zivil­be­völ­ke­rung und will sei­ne Ein­fluss­zo­ne in Syri­en ausdehnen.

Der mili­tä­ri­sche Sturz des Dik­ta­tors Sad­dam Hus­sein im Irak führ­te zur Frag­men­tie­rung des Lan­des und hat lang­fris­tig zum Ent­ste­hen des soge­nann­ten »Isla­mi­schen Staa­tes« bei­getra­gen. Die Mili­tär­in­ter­ven­ti­on in Liby­en besei­tig­te die Dik­ta­tur, hat aber zu einem zer­split­ter­ten, von War­lords beherrsch­ten Land geführt. 15 Jah­re nach der Mili­tär­in­ter­ven­ti­on in Afgha­ni­stan hat die Gesamt­zahl der getö­te­ten oder ver­letz­ten Zivilist*innen laut der UN-Unter­stüt­zungs­mis­si­on in Afgha­ni­stan mit über 11.000 einen neu­en Höchst­stand erreicht. Die Tali­ban sind so stark wie nie zuvor.

In der Wirt­schaft machen Indus­trie­staa­ten Geschäf­te zum eige­nen Vor­teil bzw. im Inter­es­se der Groß­kon­zer­ne. Auf Druck euro­päi­scher Regie­run­gen hin wur­den und wer­den die Märk­te vie­ler afri­ka­ni­scher Staa­ten liberalisiert.

So kann zum Bei­spiel Toma­ten­mark aus der EU bei nied­ri­gen Ein­fuhr­zöl­len nach Gha­na expor­tiert und dort wie­der­um sehr bil­lig ver­kauft wer­den, weil die Agrar­pro­duk­ti­on in der EU sub­ven­tio­niert wird. Die Fol­ge: Toma­ten­bau­ern vor Ort, die preis­lich nicht mit­hal­ten kön­nen, ver­lie­ren ihre Exis­tenz­grund­la­ge. Eini­ge sehen sich schließ­lich gezwun­gen, etwa nach Ita­li­en zu gehen – und pflü­cken dort oft unter kata­stro­pha­len Arbeits­be­din­gun­gen jene Toma­ten, die in Gha­na zum Preis­ver­fall bei­tra­gen (sie­he etwa eine DW-Mel­dung von März 2016 sowie ent­spre­chen­de Arti­kel auf ZEIT ONLINE von Okto­ber und Dezem­ber 2015).

Den CO2-Aus­stoß ver­ur­sa­chen ganz über­wie­gend Indus­trie- und Schwel­len­staa­ten. Die dra­ma­ti­schen Fol­gen des Kli­ma­wan­dels wie etwa häu­fi­ge­re, stär­ke­re Dür­ren und Über­schwem­mun­gen tref­fen dage­gen vor allem die Bevöl­ke­rung in ärme­ren Regio­nen und trei­ben vie­le Men­schen in die Flucht, wie etwa aus einem Bericht des Welt­kli­ma­rats und Schät­zun­gen der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on hervorgeht.

Flucht­ur­sa­chen vor Ort zu bekämp­fen ist rich­tig. Doch wer glaubt, wir Europäer*innen hät­ten damit nichts zu tun, irrt. Wir brau­chen eine kon­se­quen­te­re Menschenrechts‑, Umwelt‑, Han­dels- und Agrarpolitik.

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#7           Ganz Afri­ka steht vor den Toren Europas!?
DER KONTINENT IST GROSS UND VIELSEITIG – UND NUR WENIGE MACHEN SICH VON DORT AUF DEN WEG NACH EUROPA.

Zunächst: Afri­ka ist kein Land. Afri­ka ist ein Kon­ti­nent. Mit 30,3 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­tern. Mit über einer Mil­li­ar­de Einwohner*innen. Mit über 50 Staa­ten. Dar­un­ter sind ter­ror­ge­plag­te Län­der wie Soma­lia, Dik­ta­tu­ren wie Eri­trea, aber auch sta­bi­le Demo­kra­tien wie Botswana.

Dort, wo es Armut und Hun­ger gibt, ist dies vor allem eine Fol­ge von poli­ti­schen Kon­flik­ten, Geld­flüs­sen und glo­ba­len Aus­beu­tungs­me­cha­nis­men und auch ein Resul­tat der Kolo­ni­al­ge­schich­te. Vie­le Staa­ten sind reich, sie haben Boden­schät­ze wie Erd­öl, Dia­man­ten und Kup­fer. Aber Pro­fi­te lan­den oft nicht bei der Bevöl­ke­rung, son­dern gehen an herr­schen­de Eli­ten und aus­län­di­sche Unternehmen.

So bei­spiels­wei­se beim Land­g­rab­bing (Land­raub): Aus­län­di­sche Kon­zer­ne und Regie­run­gen haben in den letz­ten Jah­ren Mil­lio­nen Hekt­ar Land in afri­ka­ni­schen Ent­wick­lungs­län­dern bil­lig gepach­tet oder gekauft und expor­tie­ren die Erträ­ge in die Indus­trie­staa­ten. Die ansäs­si­gen Klein­bau­ern wur­den ver­trie­ben, ohne Chan­ce, selbst neu­es Land zu erwer­ben. Wäh­rend rie­si­ge Men­gen an Nah­rungs- und Fut­ter­mit­teln sowie Bio­sprit zum Pro­fit der aus­län­di­schen Inves­to­ren pro­du­ziert wer­den, wach­sen unter der loka­len Bevöl­ke­rung Hun­ger, exis­ten­zi­el­le Armut und Per­spek­tiv­lo­sig­keit (sie­he Infos zum The­ma Land­g­rab­bing bei Oxfam).

Ein wei­te­res Bei­spiel: Die Über­pro­duk­ti­on von Milch in Euro­pa führt nicht nur hier zu Tiefst­prei­sen. Die EU kauft hie­si­gen Kon­zer­nen Milch­pul­ver ab und ver­kauft es dann bil­lig etwa in Kame­run – wodurch der dor­ti­ge Auf­bau einer eige­nen Milch­wirt­schaft mas­siv erschwert wird, wie etwa eine ZDF-Doku­men­ta­ti­on von Janu­ar 2017 ein­drück­lich zeigt.

10 %

der hier Schutz­su­chen­den kamen 2015/2016 aus afri­ka­ni­schen Staaten.

Wie vie­le Schutz­su­chen­de aus afri­ka­ni­schen Staa­ten kom­men hier­her? Tat­säch­lich errei­chen ver­gleichs­wei­se weni­ge Flücht­lin­ge Deutsch­land: Etwa 110.000 Asyl­su­chen­de kamen ins­ge­samt laut Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge in den Jah­ren 2015 und 2016 aus afri­ka­ni­schen Län­dern in die Bun­des­re­pu­blik – das ent­spricht knapp 10 % aller hier Schutz­su­chen­den. Rund ein Vier­tel von ihnen kam aus einem ein­zi­gen Staat: der bru­ta­len Dik­ta­tur Eritreas.

Die weit­aus meis­ten Schutz­be­dürf­ti­gen blei­ben in der Regi­on: Laut UNHCR leb­ten Ende 2015 etwa 18 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, davon fast 11 Mil­lio­nen als Ver­trie­be­ne im eige­nen Land.

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#8           Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men kön­nen wir uns nicht leisten!?
MENSCHENRECHTE ZU BEACHTEN KOSTET ETWAS – UND BRINGT UNS ETWAS.

Flücht­lin­ge zu schüt­zen ist nach zwei Welt­krie­gen nicht nur kul­tu­rel­les Selbst­ver­ständ­nis in Euro­pa, son­dern auch eine huma­ni­tä­re und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tung. Und die­se Ver­pflich­tung kann kei­ner Kos­ten-Nut­zen-Rech­nung unter­lie­gen. Für die Bun­des­re­pu­blik sind das Asyl­grund­recht und das Völ­ker­recht ver­bind­lich – um dies umzu­set­zen, muss Geld bereitstehen. 

Im Jahr 2016 wur­den 21,7 Mil­li­ar­den Euro aus dem Bun­des­haus­halt im Zusam­men­hang mit der Zuwan­de­rung von Flücht­lin­gen aus­ge­ge­ben (sie­he SPIEGEL ONLINE-Mel­dung von Janu­ar 2017), fast ein Drit­tel davon für »Flucht­ur­sa­chen­be­kämp­fung«, dar­un­ter auch zwei­fel­haf­te Maß­nah­men mit dem Ziel, Schutz­su­chen­de fern­zu­hal­ten. Ins­ge­samt wies der Bun­des­haus­halt 2016 laut Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­um immer noch einen Über­schuss von 6,2 Mil­li­ar­den Euro auf.

Durch Steu­er­ver­mei­dung gehen dem Staat übri­gens schät­zungs­wei­se bis zu 100 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich ver­lo­ren (sie­he etwa eine FOCUS-Mel­dung von Sep­tem­ber 2015 oder eine Mel­dung des Stern von Febru­ar 2014).

Je mehr inves­tiert wird, je frü­her Flücht­lin­ge Zugang haben zu Deutsch­kur­sen, Aus­bil­dung, Qua­li­fi­zie­rung und Arbeit, des­to schnel­ler gewinnt die Gesell­schaft auch wirtschaftlich.

Es ist kurz­sich­tig, Flücht­lin­ge vor allem als finan­zi­el­le Belas­tung zu sehen. Wirt­schaft und Poli­tik sind sich einig, dass die deut­sche Gesell­schaft auch auf Ein­wan­de­rung ange­wie­sen ist – um die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung zu beför­dern, Ren­ten und die Kin­der­ver­sor­gung abzu­si­chern (zum Bei­spiel laut Arti­kel auf ZEIT ONLINE von Febru­ar 2015).

Die För­der­mit­tel für die Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on von Hartz IV-Bezieher*innen sind aber seit 2010 mas­siv zusam­men­ge­stri­chen wor­den. Für die ein­ge­wan­der­ten wie für die bereits hier leben­den Men­schen muss mehr in Qua­li­fi­ka­ti­on und eine Ver­bes­se­rung der Arbeits­markt­chan­cen inves­tiert wer­den – hier­auf weist etwa der Deut­sche Gewerk­schafts­bund immer wie­der hin; auf Initia­ti­ve der IG Metall hat die Bun­des­agen­tur für Arbeit zwi­schen­zeit­lich zwei Model­le eines »Betrieb­li­chen Inte­gra­ti­ons­jahrs« ent­wi­ckelt, um – nicht nur – Flücht­lin­ge in Aus­bil­dung und Arbeit zu bekommen.

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Sicher: Gewalt­op­fer, kran­ke oder trau­ma­ti­sier­te Flücht­lin­ge sind auf Unter­stüt­zung ange­wie­sen, man­che von ihnen auf lan­ge Zeit. Ihnen zu hel­fen, ist ein Gebot der Huma­ni­tät. Vie­le sind tat­kräf­tig, moti­viert und qua­li­fi­ziert, wol­len ler­nen, arbei­ten und teil­ha­ben, wie etwa aus einer Stu­die u.a. des Insti­tuts für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung her­vor­geht. Über 70 % der Asyl­su­chen­den waren laut Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge in den Jah­ren 2015 und 2016 jün­ger als 30 Jah­re. Mit ihnen kom­men auch vie­le Kin­der und wach­sen in die­se Gesell­schaft hin­ein: Über ein Vier­tel der Asyl­su­chen­den im Jahr 2015 war unter 16 Jah­re alt, 2016 waren 20 % der Schutz­su­chen­den jün­ger als 12 Jahre.

Abschre­ckungs­po­li­tik hemmt Poten­zia­le: Arbeits­ver­bo­te, Unter­brin­gung in abge­le­ge­nen Mas­sen­un­ter­künf­ten, feh­len­der Deutsch­un­ter­richt oder Essens­pa­ke­te statt Bar­geld erschwe­ren jede Eigen­in­itia­ti­ve. Je mehr inves­tiert wird, je frü­her Flücht­lin­ge Zugang haben zu Deutsch­kur­sen, Aus­bil­dung, Qua­li­fi­zie­rung und Arbeit, des­to schnel­ler gewinnt die Gesell­schaft auch wirt­schaft­lich.

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#9           Asyl­be­wer­ber krie­gen mehr als Deutsche!?
SCHULD AN DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH SIND NICHT DIE FLÜCHTLINGE.

Hart­nä­ckig hält sich der Irr­glau­be, Asyl­su­chen­de bekä­men mehr Geld als Men­schen, die Hartz IV bezie­hen. Dabei hat eine Per­son im Asyl­ver­fah­ren nur Anspruch auf Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz. Ihre Grund­leis­tun­gen sind noch nied­ri­ger als die Hartz-IV-Leis­tun­gen. Dar­über hin­aus sieht das Gesetz umfang­rei­che Kür­zungs­mög­lich­kei­ten vor, der Anspruch auf medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist ein­ge­schränkt. Nach 15 Mona­ten erhal­ten Asyl­su­chen­de unter bestimm­ten Bedin­gun­gen Leis­tun­gen auf Hartz IV-Niveau. Aner­kann­te Flücht­lin­ge haben bei Bedürf­tig­keit die glei­chen Sozi­al­leis­tungs­an­sprü­che wie deut­sche Staatsangehörige.

Wenn eine Stadt zum Bei­spiel in eine neue Flücht­lings­un­ter­kunft oder Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men inves­tiert, ent­steht schnell ein Gefühl von Unge­rech­tig­keit. Aber wenn die Flücht­lin­ge schlech­ter ver­sorgt wür­den, bekä­me ein arbeits­lo­ser Hartz-IV-Emp­fän­ger des­halb nicht einen Cent mehr, gerin­ge Löh­ne wür­den des­halb nicht stei­gen, für Men­schen mit mitt­le­rem Ein­kom­men gäbe es nicht weni­ger Anlass zur Angst vor dem sozia­len Absturz.

»Eigen­tum ver­pflich­tet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Woh­le der All­ge­mein­heit dienen.«

Arti­kel 14 des Grundgesetzes

Dahin­ter steht näm­lich ein ande­res, weit grö­ße­res Pro­blem: die wach­sen­de Ungleich­heit zwi­schen Arm und Reich. Ver­dien­te das obers­te Zehn­tel der Bevöl­ke­rung Mit­te der 1980er Jah­re noch fünf­mal so viel wie das unte­re Zehn­tel, betra­gen die obe­ren Ein­kom­men laut einer OECD-Stu­die heu­te sogar sie­ben­mal so viel (sie­he etwa Han­dels­blatt-Mel­dung von Dezem­ber 2014). Die reichs­ten 10 % der Haus­hal­te besit­zen weit über die Hälf­te des gesam­ten Net­to­ver­mö­gens in Deutsch­land, die unte­re Hälf­te ver­fügt nur über 1 %, wie aus dem Armuts­be­richt der Bun­des­re­gie­rung her­vor­geht (sie­he Arti­kel der Süd­deut­schen Zei­tung von März 2017). Knapp ein Fünf­tel der Kin­der in Deutsch­land ist von Armut betrof­fen, wie der Ver­tei­lungs­mo­ni­tor der Hans Böck­ler Stif­tung zeigt.

Im Grund­ge­setz heißt es in Arti­kel 14: »Eigen­tum ver­pflich­tet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Woh­le der All­ge­mein­heit die­nen.« Geld ist genug da – wür­de es gerech­ter ver­teilt, könn­ten alle angst­frei und men­schen­wür­dig leben. Über wach­sen­de Ungleich­heit kann und soll­te man sich zu Recht beschwe­ren – um lebens­wer­te Bedin­gun­gen für alle zu schaffen.

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#10          Die Flücht­lin­ge neh­men uns die Woh­nun­gen weg!?
MIT VERNÜNFTIGER PLANUNG KÖNNEN WIR WOHNUNGSKNAPPHEIT FÜR ALLE VERMEIDEN.

Frü­her waren »Gemein­schafts­un­ter­künf­te« zur Abschre­ckung von Flücht­lin­gen die Regel. Dann erlaub­ten immer mehr Kom­mu­nen Flücht­lin­gen, in Woh­nun­gen zu leben. 2015 jedoch lie­ßen vie­le Ver­wal­tun­gen ad hoc wie­der Groß­un­ter­künf­te errich­ten, obwohl die­se letzt­lich teu­rer sind als nor­ma­le Woh­nun­gen, wie der Lan­des­rech­nungs­hof Hes­sen oder die Städ­te Hei­del­berg, Ber­lin oder Köln aus­ge­rech­net haben. Und wegen hoher Inves­ti­ti­ons­kos­ten müs­sen die Unter­künf­te, die inzwi­schen vie­ler­orts schon wie­der leer ste­hen könn­ten, auch noch mög­lichst lan­ge lau­fen – so wer­den Pro­vi­so­ri­en mit schlech­ter Bau­sub­stanz zum Dauerärgernis.

Gut auf­ge­stell­te Kom­mu­nen ent­wi­ckeln Kon­zep­te, die für alle lang­fris­tig akzep­ta­ble Lösun­gen dar­stel­len. Sie suchen kon­ti­nu­ier­lich pri­va­te Vermieter*innen und gewähr­leis­ten ein Umzugs­ma­nage­ment. Sie ver­zich­ten auf Alar­mis­mus, infor­mie­ren die loka­le Bevöl­ke­rung recht­zei­tig über Pla­nun­gen und bezie­hen Anwohner*innen früh­zei­tig ein – so kann der Pro­zess gut gelingen.

Vie­le Flücht­lin­ge zieht es – wie ande­re Men­schen auch – in die Städ­te, wo es Jobs und Infra­struk­tur gibt und wo sie Per­spek­ti­ven sehen. Dadurch wird der Woh­nungs­man­gel zwar noch deut­li­cher, aber Flücht­lin­ge haben das Pro­blem nicht ver­ur­sacht: In den Bal­lungs­zen­tren war erschwing­li­cher Wohn­raum schon lan­ge knapp, bevor die Flücht­lings­zah­len stie­gen. Grund ist, dass jah­re­lang nicht annä­hernd bedarfs­ori­en­tiert in den sozia­len Woh­nungs­bau inves­tiert wur­de, son­dern vie­ler­orts ein regel­rech­ter Aus­ver­kauf öffent­li­cher Immo­bi­li­en stattfand.

Es muss bezahl­ba­rer Wohn­raum für alle Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men geschaf­fen wer­den – nicht nur für Flüchtlinge.

Die höhe­ren Flücht­lings­zah­len haben zur Ent­wick­lung eines Pro­blem­be­wusst­seins bei­getra­gen: Zumin­dest punk­tu­ell wird inzwi­schen wie­der umge­steu­ert und der sozia­le Woh­nungs­bau neu auf­ge­legt. Dabei muss bezahl­ba­rer Wohn­raum für alle Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men geschaf­fen wer­den – nicht nur für Flüchtlinge.

In Bal­lungs­räu­men könn­te bei­spiels­wei­se mehr leer­ste­hen­de Büro­flä­che in Wohn­raum umge­wan­delt wer­den – allein in Frank­furt am Main blie­ben laut Bericht des Hes­si­schen Rund­funks  Ende 2016 über 1,7 Mil­lio­nen Qua­drat­me­ter Büro­raum unge­nutzt, wäh­rend etwa 23.000 Woh­nun­gen fehlten.

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#11          Asyl­be­wer­ber sind kri­mi­nell und gefährlich!?
FLÜCHTLINGE SIND SO VERSCHIEDEN, WIE MENSCHEN EBEN SIND.

Ein­zel­ne, dras­ti­sche Fäl­le von Straf­ta­ten durch Flücht­lin­ge wüh­len auf, wecken Emo­tio­nen und prä­gen so die Sicht­wei­se eini­ger Men­schen auf Flücht­lin­ge. Tat­säch­lich gibt es aber kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass mit den neu hin­zu­ge­kom­me­nen Flücht­lin­gen der ver­gan­ge­nen Jah­re die Anzahl der Straf­ta­ten im Ver­hält­nis zur Gesamt­be­völ­ke­rung mas­siv zuge­nom­men hat (sie­he etwa FOCUS-Mel­dung von Juli 2016).

Die Zahl der Straf­an­zei­gen ist laut Poli­zei­li­cher Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik im Jahr 2015 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 0,1 % gestie­gen und im Jahr 2016 um 0,7 % gesun­ken, zählt man aus­län­der­recht­li­che Ver­ge­hen wie etwa die für Flücht­lin­ge kaum ver­meid­ba­re ille­ga­le Ein­rei­se oder Ver­stö­ße gegen Wohn­sitz­auf­la­gen jeweils nicht mit.

Sta­tis­ti­ken zufol­ge ist der Anteil von straf­fäl­lig gewor­de­nen Per­so­nen in der Grup­pe der Men­schen ohne deut­schen Pass (von denen neu hin­zu­ge­kom­me­ne Flücht­lin­ge nur eine Teil­grup­pe sind) tat­säch­lich pro­por­tio­nal höher als bei den deut­schen Staatsbürger*innen. Das steht aber weder mit der Her­kunft noch der Reli­gi­on der Zuge­wan­der­ten in Zusammenhang.

Gesell­schaft­li­che Inte­gra­ti­on und eine Lebens­per­spek­ti­ve sind ein Schlüs­sel zur Ver­mei­dung von Straf­fäl­lig­keit – bei Men­schen mit und ohne deut­schen Pass.

Kri­mi­no­lo­gi­sche Sach­ver­stän­di­ge erklä­ren, dass Kri­mi­na­li­tät nicht mit einer bestimm­ten Staats­an­ge­hö­rig­keit zusam­men­hängt, son­dern in der Regel mit kon­kre­ten Lebens­la­gen (sie­he etwa eine ZDF-Doku­men­ta­ti­on von Dezem­ber 2016 oder einen Arti­kel auf ZEIT ONLINE von Dezem­ber 2016). So fin­den etwa Straf­ta­ten inner­halb von Groß­un­ter­künf­ten für Asyl­su­chen­de statt, wo vie­le ein­an­der unbe­kann­te Men­schen auf engs­tem Raum mit stark ein­ge­schränk­ter Pri­vat­sphä­re und wenig Beschäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten zusam­men­le­ben müssen.

Flücht­lin­ge und Men­schen mit Migra­ti­ons­bio­gra­fie haben es schwe­rer, einen qua­li­fi­zier­ten Abschluss, die gewünsch­te Aus­bil­dungs­stel­le oder einen Job zu bekom­men. Ihre Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben ist also oft beson­ders ein­ge­schränkt. Die­se Men­schen haben daher ein höhe­res Risi­ko, in eine Lebens­si­tua­ti­on zu rut­schen, die Straf­fäl­lig­keit begünstigt.

Anders­her­um heißt das: Gesell­schaft­li­che Inte­gra­ti­on und eine Lebens­per­spek­ti­ve sind ein Schlüs­sel zur Ver­mei­dung von Straf­fäl­lig­keit – bei Men­schen mit und ohne deut­schen Pass.

Letzt­end­lich sind »Aus­län­der« oder »Flücht­lin­ge« so unter­schied­lich wie ande­re Men­schen eben auch – weder sind alle nett und harm­los, noch sind alle gemein und gefähr­lich. Der weit über­wie­gen­de Teil der Zuge­zo­ge­nen ver­hält sich rechtskonform.

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#12          Die Asyl­be­wer­ber ver­grei­fen sich an Frauen!?
SEXUALISIERTE GEWALT WAR SCHON IMMER EIN PROBLEM DER GESAMTEN GESELLSCHAFT.

Nach den Über­grif­fen auf zahl­rei­che Frau­en in Köln in der Sil­ves­ter­nacht 2015/2016 hat sich medi­al das Bild vom »nord­afri­ka­ni­schen Asyl­be­wer­ber als Sex­tä­ter« ver­brei­tet – seit­her sehen sich Män­ner aus nord­afri­ka­ni­schen Staa­ten (oder sol­che, die dafür gehal­ten wer­den) pau­scha­len Ver­däch­ti­gun­gen ausgesetzt.

In einer sol­chen Atmo­sphä­re ver­brei­ten sich auch Gerüch­te über sexua­li­sier­te Über­grif­fe von Asyl­su­chen­den schnell, zum Teil wer­den Falsch­mel­dun­gen gezielt von rechts­extre­men Web­sites in die Welt gesetzt. Unter www.hoaxmap.org wer­den mehr als 450 Gerüch­te, davon allein 72 (Stand: 10. Mai 2017) über angeb­li­che Ver­ge­wal­ti­gun­gen, als falsch ent­larvt und seri­ös widerlegt.

Zu den Fak­ten: Einer Stu­die des Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­ums von 2013 zufol­ge hat fast jede sieb­te Frau in Deutsch­land eine Ver­ge­wal­ti­gung, ver­such­te Ver­ge­wal­ti­gung oder sexu­el­le Nöti­gung erlit­ten. Sexu­al­straf­tä­ter, meist Män­ner, kom­men zu über 75 % aus dem sozia­len Umfeld der Opfer: Es sind Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, Nach­barn, Part­ner, Kol­le­gen, Freun­de. Unter ande­rem des­halb wer­den auch nur 8 % der Straf­ta­ten über­haupt zur Anzei­ge gebracht. Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­ti­ken kön­nen nur einen klei­nen Aus­schnitt erfas­sen: Sie hän­gen laut Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um stark ab von Ermitt­lungs­schwer­punk­ten der Poli­zei und vom Anzeigeverhalten.

Das Recht auf sexu­el­le Selbst­be­stim­mung muss ver­tei­digt wer­den – gegen­über den alt­ein­ge­ses­se­nen Nach­barn genau­so wie gegen­über Zugezogenen.

In Deutsch­land gibt es hin­sicht­lich der Selbst­be­stim­mung von Frau­en eine bes­se­re Rechts­la­ge und gesell­schaft­li­che Pra­xis als in manch einem ande­rem Staat. Das wur­de hart erkämpft: Noch bis 1997 galt Ver­ge­wal­ti­gung in der Ehe nicht als Straf­tat. Die all­täg­li­che sexua­li­sier­te Gewalt zeigt, dass es kei­nen Grund gibt, über­heb­lich zu sein.

Sexua­li­sier­te Gewalt kann nicht ein­fach Asyl­su­chen­den zuge­scho­ben wer­den. Es han­delt sich um ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem, das sich folg­lich auch nicht durch ver­mehr­te Abschie­bun­gen lösen lässt. Statt­des­sen muss das Recht auf sexu­el­le Selbst­be­stim­mung ver­tei­digt wer­den, nicht nur mit Mit­teln des Straf­rechts – gegen­über den alt­ein­ge­ses­se­nen Nach­barn genau­so wie gegen­über Zuge­zo­ge­nen. Nur so kann die Zahl der Opfer sexua­li­sier­ter Gewalt wirk­lich redu­ziert werden.

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#13          Mit den Asyl­be­wer­bern kommt der Ter­ror nach Deutschland!?
FLÜCHTLINGE SUCHEN VOR ALLEM FRIEDEN UND SICHERHEIT.

Die Bedro­hung etwa durch die Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on »Isla­mi­scher Staat« in Syri­en, Tali­ban-Anschlä­ge in Afgha­ni­stan, Ter­ror­ak­te der al-Shaba­ab-Miliz in Soma­lia oder die Anschlä­ge der Ter­ror­mi­liz Boko Haram in Nige­ria treibt vie­le Men­schen in die Flucht. Man­che der hier Schutz­su­chen­den haben Ange­hö­ri­ge und Freund*innen durch ter­ro­ris­ti­sche Anschlä­ge ver­lo­ren oder sol­che Atten­ta­te selbst überlebt.

Die Anschlä­ge, die von Anhän­gern des „Isla­mi­schen Staats“ in den letz­ten Jah­ren in Euro­pa und im Jahr 2016 durch den syri­schen Flücht­ling Moham­med Daleel in Ans­bach oder durch den tune­si­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen Anis Amri in Ber­lin ver­übt wur­den, machen Angst – auch vie­len Flücht­lin­gen. Es ergibt kei­nen Sinn, alle Men­schen mus­li­mi­schen Glau­bens oder einer bestimm­ten Natio­na­li­tät pau­schal für die­se Ter­ror­ak­te in Haf­tung zu nehmen.

Gesell­schaft­li­che Spal­tung spielt dem Ter­ror letzt­lich in die Hände.

Der syri­sche Ter­ror­ver­däch­ti­ge Jaber al-Bakr wur­de im Okto­ber 2016 nur des­halb gefasst, weil syri­sche Asyl­su­chen­de ihn über­wäl­tigt und die Poli­zei infor­miert hat­ten, wie etwa Spie­gel Online berich­te­te. Als in einem Mün­che­ner Ein­kaufs­zen­trum im Juli 2016 Men­schen erschos­sen wur­den, dach­ten vie­le unwill­kür­lich an einen isla­mis­tisch begrün­de­ten Ter­ror­an­schlag, eine gan­ze Stadt geriet in Panik. Der deutsch-ira­ni­sche Täter ent­pupp­te sich spä­ter als psy­chisch labi­ler Ras­sist, Jugend­li­che mit tür­ki­schen und koso­va­ri­schen Wur­zeln muss­ten ster­ben (sie­he Arti­kel der FAZ von Juli 2016). Und nicht zu ver­ges­sen: Auch die Mit­glie­der der 10 Jah­re lang unbe­hel­ligt mor­den­den ter­ro­ris­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on »Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund« waren Deut­sche, ihre Opfer vor allem Migrant*innen.

Eine ter­ro­ris­ti­sche Bedro­hung in Deutsch­land geht nicht von Bevöl­ke­rungs­grup­pen aus, son­dern von gewalt­be­rei­ten Ein­zel­nen oder Täter­grup­pen in ver­schie­de­nem reli­giö­sen oder poli­tisch-völ­ki­schen Gewand. Der men­schen­ver­ach­ten­de Hass und die Gewalt selbst sind eine Gefahr für Men­schen­le­ben und für die Gesell­schaft – nicht nur in Deutsch­land. Gegen sie müs­sen wir uns gemein­sam mit aller Kraft weh­ren. Gesell­schaft­li­che Spal­tung spielt dem Ter­ror letzt­lich in die Hände.

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#14          Die deut­sche Kul­tur geht zu Grun­de, wir wer­den überfremdet!?
KULTUR UND BEVÖLKERUNG IN DEUTSCHLAND SPIEGELN EINE JAHRTAUSENDE LANGE MIGRATIONSGESCHICHTE WIDER.

Das »rei­ne deut­sche Volk« oder die »deut­sche Kul­tur« war und ist nichts als eine Erfin­dung. Begin­nend mit der Mensch­heits­ge­schich­te müss­te man sagen: Eigent­lich sind wir alle Afrikaner*innen, denn mensch­li­che Kno­chen­fun­de aus Äthio­pi­en und Kenia wei­sen dar­auf hin, dass die Men­schen einst von dort aus­ge­hend die ande­ren Erd­tei­le besie­del­ten. Seit­her ist alle Geschich­te immer auch eine Geschich­te der Migra­ti­on, beson­ders in Euro­pa. Die so genann­te »Völ­ker­wan­de­rung« hun­dert­tau­sen­der Men­schen in der Spät­an­ti­ke war tat­säch­lich ein gigan­ti­scher Pro­zess der »Ver­mi­schung« von Men­schen unter­schied­li­cher Her­kunft, und das ist in der Geschich­te der Normalfall.

Im 18. und 19. Jahr­hun­dert flo­hen Mil­lio­nen Deut­sche vor reli­giö­ser Repres­si­on und bit­te­rer Armut nach Russ­land und vor allem nach Ame­ri­ka. Die dar­aus resul­tie­ren­de »Leu­te­not« mach­te Deutsch­land wie­der­um von Hun­dert­tau­sen­den pol­ni­schen Wan­der­ar­bei­ten­den abhängig.

Zur Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus flo­hen Hun­dert­tau­sen­de jüdi­sche Bürger*innen und ande­re Ver­folg­te aus Deutsch­land, solan­ge es ihnen noch mög­lich war und sofern ein Land bereit war, sie auf­zu­neh­men. Mil­lio­nen von Men­schen wur­den ver­folgt und ermor­det, weil sie als Gefahr für die »Volks­ge­mein­schaft« ein­ge­stuft wur­den – eine schreck­li­che Fol­ge einer noch heu­te kur­sie­ren­den ras­sis­ti­schen Vor­stel­lung, Deutsch­land wür­de »über­frem­det«.

Migra­ti­on hat die Gesell­schaft dau­ernd ver­än­dert und »uns« auch zu dem gemacht, was »wir« heu­te sind.

Mit den »Gast­ar­bei­tern« der Nach­kriegs­zeit wur­de Deutsch­land wie­der zum Ein­wan­de­rungs­land. Pro­mi­nen­te mit Migra­ti­ons­er­fah­rung gehö­ren heu­te in Poli­tik, Sport und Fern­se­hen zur Nor­ma­li­tät, Döner und Piz­za sind schon lan­ge Bestand­teil der »deut­schen Kul­tur«. Auch wenn rech­te Populist*innen und gewalt­be­rei­te Grup­pen ver­su­chen, gegen die Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft Stim­mung zu machen: Die deut­sche Bevöl­ke­rung war immer schon eine unge­plan­te Mischung. Migra­ti­on hat die Gesell­schaft dau­ernd ver­än­dert und »uns« auch zu dem gemacht, was »wir« heu­te sind – inso­fern haben wir alle einen »Migra­ti­ons­hin­ter­grund«.

Nur dort, wo lan­ge nie­mand dazu­kommt, ent­steht der Ein­druck, man sei schon immer »unter sich«. Des­halb haben gera­de in sol­chen Gegen­den mehr Men­schen Angst vor einer ver­meint­li­chen »Über­frem­dung«, wo sta­tis­tisch gese­hen die wenigs­ten »Aus­län­der« leben (sie­he etwa einen Arti­kel im Han­dels­blatt von August 2012). Wo Men­schen im All­tag per­ma­nent mit neu Zuge­zo­ge­nen in Kon­takt kom­men, stel­len sich dage­gen schnell Gelas­sen­heit und Nor­ma­li­tät ein.

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TIPPS: GEGEN UNKENNTNIS, VORURTEILE UND RASSISMUS – WAS KANN MAN TUN? 

  • Begeg­nen Sie Vor­ur­tei­len sou­ve­rän: mit Fak­ten. Manch­mal rei­chen schon ein Wort­bei­trag oder sach­li­ches Nach­fra­gen in einer Ver­samm­lung, um die Stim­mung zu drehen.
  • Ach­ten Sie auf die Macht der Wor­te. Wenn Politiker*innen die Asyl­an­trags­zah­len »alar­mie­rend« nen­nen oder Medi­en von »Flücht­lings­wel­len« spre­chen, löst das Ängs­te aus. Sach­lich betrach­tet sind vie­le Begrif­fe unan­ge­mes­sen, sogar falsch. Machen Sie Medi­en und Ihr Umfeld dar­auf aufmerksam.
  • Schrei­ben Sie Leser­brie­fe und Inter­net­kom­men­ta­re zu Zeitungs‑, Radio- und Fern­seh­bei­trä­gen. Beson­ders im Inter­net brei­ten sich unge­hin­dert Dumm­hei­ten, Falsch­mel­dun­gen und Hass aus. Set­zen Sie Sach­auf­klä­rung und Mit­mensch­lich­keit dage­gen. Die Platt­form www.hoaxmap.org über­prüft und wider­legt seri­ös Gerüch­te über Asylsuchende.
  • Bezie­hen Sie klar Posi­ti­on. Je frü­her und je mehr Ein­zel­per­so­nen und Orga­ni­sa­tio­nen sich ras­sis­ti­scher Het­ze öffent­lich ent­ge­gen­stel­len, des­to eher wird eine Hass- und Gewalt­spi­ra­le unterbrochen.
  • Schmie­den Sie Bünd­nis­se. Spre­chen Sie Men­schen aus Insti­tu­tio­nen an, denen Sie zutrau­en, dass sie sich gegen Ras­sis­mus stark machen, z.B. aus der Reli­gi­ons­ge­mein­de, Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten, dem Kul­tur- oder Bil­dungs­be­reich oder dem Sport. Ver­net­zen Sie sich mit loka­len Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen von Migrant*innen und Flücht­lings­in­itia­ti­ven im Flücht­lings­rat Ihres Bun­des­lan­des.
  • Suchen und ver­mit­teln Sie Kon­takt. Begeg­nun­gen hel­fen enorm, Vor­ur­tei­le und Berüh­rungs­ängs­te abzu­bau­en und das Sicher­heits­ge­fühl bei­der Sei­ten zu stär­ken. Orga­ni­sie­ren Sie Ken­nen­lern­aben­de, Film­vor­füh­run­gen, gemein­sa­me Dis­kus­sio­nen. Oft fin­den sich dann Men­schen, die sich für Flücht­lin­ge enga­gie­ren wollen.
  • Tre­ten Sie für gute Auf­nah­me­be­din­gun­gen ein. Mas­sen­un­ter­künf­te, Arbeits­ver­bo­te oder Lebens­mit­tel­pa­ke­te signa­li­sie­ren: »Die gehö­ren nicht zu uns, die tun nichts und lie­gen uns auf der Tasche.« Damit wer­den Flücht­lin­ge leicht zur Ziel­schei­be von Wut und Frus­tra­ti­on. Ver­su­chen Sie, die Ver­ant­wort­li­chen zu einer Poli­tik der »Teil­ha­be von Anfang an« zu bewegen.
  • Haben Sie Mut zur Zivil­cou­ra­ge – ohne sich selbst zu gefähr­den. Rufen Sie im Not­fall die Poli­zei. Machen Sie ras­sis­ti­sche Vor­fäl­le öffent­lich, wenn die Betrof­fe­nen ein­ver­stan­den sind (ggf. anony­mi­siert). Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­bü­ros hel­fen weiter.
  • Enga­gie­ren Sie sich vor Ort gegen Rechts­extre­mis­mus. Die loka­len Neo­na­zis soll­te man ken­nen: So kann man ver­meint­li­che »besorg­te Bür­ger« ent­lar­ven, auf gewalt­tä­ti­ge Struk­tu­ren im Hin­ter­grund von flücht­lings­feind­li­chen Pro­tes­ten hin­wei­sen. Die mobi­len Bera­tungs­teams gegen Rechts­extre­mis­mus bie­ten Unterstützung.

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