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Mit diesem Selfie startete die Ampel-Regierung 2021 optimistisch in die Regierung. Am Ende der Regierung ist die Bilanz bitter. Foto: Volker Wissing / Instagram

Geplant waren ein Paradigmenwechsel und ein Neustart in der Asyl- und Migrationspolitik, der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ließ hoffen. Doch die Regierungszeit endete mit Abschiebungen und Asylrechtsverschärfungen, nur wenige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag wurden Wirklichkeit. Eine Bilanz.

»Wir wol­len einen Neu­an­fang in der Migra­ti­ons- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik gestal­ten, der einem moder­nen Ein­wan­de­rungs­land gerecht wird. Dafür brau­chen wir einen Para­dig­men­wech­sel: Mit einer akti­ven und ord­nen­den Poli­tik wol­len wir Migra­ti­on vor­aus­schau­end und rea­lis­tisch gestal­ten.« Sei­te 110, Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel-Regie­rung.

Mit die­sen viel­ver­spre­chen­den Wor­ten über­schrieb die neue Ampel-Regie­rung das Kapi­tel »Inte­gra­ti­on, Migra­ti­on, Flucht« ihres Koali­ti­ons­ver­trags, den die Spit­zen von SPD, Grü­nen und FDP am 7. Dezem­ber 2021 unter­schrie­ben. Heu­te erschei­nen die­se Sät­ze des pro­gres­si­ven Ver­trags, als kämen sie aus einer ande­ren Welt.

Ohne Zwei­fel hat­te die Ampel einen schwie­ri­gen Start: Kaum war der Koali­ti­ons­ver­trag unter­schrie­ben, Olaf Scholz zum Bun­des­kanz­ler gewählt, die Minister*innen ver­ei­digt und die Weih­nachts­pau­se vor­bei, da über­fiel Russ­land am 24. Febru­ar 2022 die Ukrai­ne. Mil­lio­nen von Ukrainer*innen flo­hen, allein eine Mil­li­on nach Deutsch­land. Hin­zu kamen nach dem Angriff auf die Ukrai­ne wirtschafts‑, sicher­heits- und ener­gie­po­li­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen und geo­po­li­ti­sche Ver­schie­bun­gen, die zuvor so nicht abzu­se­hen waren. Das alles pas­sier­te auch vor dem Hin­ter­grund, dass kurz vor der Bun­des­tags­wahl die Tali­ban in Afgha­ni­stan die Macht über­nom­men hatten.

Obwohl die­se welt­po­li­ti­schen Ereig­nis­se zei­gen, wie wich­tig eine gute, vor­aus­schau­en­de  und durch­dach­te Asyl- und Migra­ti­ons­po­li­tik wäre, die sich an Rechts­staat­lich­keit und inter­na­tio­na­len Ver­ein­ba­run­gen ori­en­tiert, ließ die Ampel-Regie­rung sich dahin trei­ben, ihre rich­ti­gen Ansät­ze nach und nach auf­zu­ge­ben: Auf­zu­ge­ben für eine restrik­ti­ve Poli­tik, die auf Abschre­ckung und Dis­kri­mi­nie­rung setzt und immer wie­der droht, Geset­ze, die Ver­fas­sung, inter­na­tio­na­le Kon­ven­tio­nen und ande­re Wer­te und Grund­la­gen der Poli­tik zu verletzen.

Mani­fest wur­de die­se 180-Grad-Wen­de zum Bei­spiel mit der Zustim­mung zur Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) im Mai 2024: ein his­to­ri­scher Tief­punkt der EU, mit dem künf­tig selbst Kin­der in Grenz­ver­fah­ren an den Außen­gren­zen in Haft genom­men wer­den können.

So ist die Ampel als pro­gres­si­ves Regie­rungs­bünd­nis ange­tre­ten und brach­te mit dem Chan­cen­auf­ent­halts­recht und einer erleich­ter­ten Ein­bür­ge­rung ein paar Ver­bes­se­run­gen auf den Weg. Doch am (vor­zei­ti­gen) Ende ihrer Regie­rungs­zeit steht eine bit­te­re Bilanz zum Flücht­lings­schutz: Wich­ti­ge und fort­schritt­li­che Plä­ne aus dem Koali­ti­ons­ver­trag wie Fami­li­en- und Geschwis­ter­nach­zug sowie die Abschaf­fung von Dul­dung light und Arbeits­ver­bo­ten wur­den nicht umge­setzt, statt­des­sen wur­de viel Zeit und Ener­gie in Ver­schär­fun­gen gesteckt – oft getrie­ben von den immer radi­ka­ler wer­den­den rechts­extre­men Wortmeldungen.

Statt nach­hal­ti­ge Lösun­gen für Inte­gra­ti­on und fai­re Asyl­ver­fah­ren zu schaf­fen, wur­den Abschie­bun­gen als ver­meint­li­che Lösung prä­sen­tiert. Das lös­te aber struk­tu­rel­le Pro­ble­me wie Ras­sis­mus, feh­len­der bezahl­ba­rer Wohn­raum und man­geln­de psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung (vor allem für Geflüch­te­te) über­haupt nicht. Hin­zu kamen die öffent­lich aus­ge­tra­ge­nen Strei­tig­kei­ten. Letzt­lich führ­te die­ser Dau­er­streit zum früh­zei­ti­gen Koali­ti­ons­bruch im Novem­ber 2024 und Neu­wah­len am 23. Febru­ar 2025.

Zum Ende der Legis­la­tur gab es noch eine wei­te­re geo­po­li­ti­sche Über­ra­schung: Anfang Dezem­ber 2024 wur­de in Syri­en das Assad-Regime gestürzt. Selbst die­ses erfreu­li­che Ereig­nis wur­de sofort für eine Debat­te über Rück­kehr und mög­li­che Schutz­sta­tus-Wider­ru­fe genutzt. Der genau drei Jah­re zuvor unter­zeich­ne­te Koali­ti­ons­ver­trag hät­te auf einen ande­ren Geist hof­fen lassen.

In die­ser Über­sicht unter­sucht PRO ASYL, was aus den für Asyl und Migra­ti­on rele­van­ten Pas­sa­gen des Koali­ti­ons­ver­trags gewor­den ist, und geht auf die wich­tigs­ten Geset­ze der Ampel-Regie­rung zu Asyl und Migra­ti­on ein:

»Wir wer­den die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu sub­si­di­är Geschütz­ten mit den GFK-Flücht­lin­gen gleich­stel­len. Wir wer­den beim berech­tig­ten Eltern­nach­zug zu unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen die min­der­jäh­ri­gen Geschwis­ter nicht zurück­las­sen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, S. 111)

Bei­de Ankün­di­gun­gen wur­den nicht umge­setzt. Monat­lich kön­nen wei­ter­hin nur bis zu 1.000 Visa für den Fami­li­en­nach­zug der Ehe­gat­ten und min­der­jäh­ri­gen Kin­der – oder Eltern bei unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen – zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten erteilt wer­den. Die­se Schlech­ter­stel­lung gegen­über aner­kann­ten Flücht­lin­gen wider­spricht gel­ten­dem Recht und ver­letzt das Recht auf Ehe und Fami­lie (Gut­ach­ten von PRO ASYL/JUMEN und UNHCR-Leit­li­ni­en zum Fami­li­en­nach­zug).

Sub­si­diä­rer Schutz wird Geflüch­te­ten zuer­kannt, denen im Her­kunfts­land ein »ernst­haf­ter Scha­den« droht, weil sie Opfer eines Bür­ger­kriegs sind oder weil sie in Gefahr sind, Opfer von Todes­stra­fe oder Fol­ter zu wer­den. Ein gemein­sa­mes Leben in Sicher­heit ist für ihre Fami­li­en also in der Regel nur in Deutsch­land mög­lich. Es steht zu befürch­ten, dass neue Mehr­hei­ten nach der Bun­des­tags­wahl  den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten sogar noch wei­ter beschrän­ken oder sogar ganz abschaf­fen werden.

Auch für den Geschwis­ter­nach­zug brach­te die Ampel, anders als vor­ge­se­hen, kein Gesetz ein. Des­halb ist er wei­ter­hin nur unter hohen Anfor­de­run­gen über kom­pli­zier­te Umwe­ge möglich.

Bis­lang kei­ne Digi­ta­li­sie­rung für den Fami­li­en­nach­zug zu Schutzberechtigten

Im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel-Regie­rung wur­de zudem ver­ein­bart: »Wir wol­len die Visa­ver­ga­be beschleu­ni­gen und ver­stärkt digi­ta­li­sie­ren.« (Sei­te 110)

Zum Jah­res­be­ginn 2025 wur­de die Mög­lich­keit geschaf­fen, digi­tal Visums­an­trä­ge zu stel­len. Doch für den Fami­li­en­nach­zug besteht die­se Mög­lich­keit an den Visa­stel­len, an denen die Visa­an­trä­ge von Flücht­lin­gen zum Groß­teil bear­bei­tet wer­den, nicht. Die Bun­des­re­gie­rung ver­sprach, dass auch dies »nach einer kur­zen Pilo­tie­rungs­pha­se in Kür­ze über­all frei­ge­ge­ben wer­den« soll, schränk­te aber ein, dass »an eini­gen Stand­or­ten noch bestehen­de ana­lo­ge War­te­lis­ten abge­ar­bei­tet« wer­den müs­sen und »an Visa­stel­len in Kri­sen­si­tua­tio­nen« und sol­chen mit gerin­ger Per­so­nal­be­set­zung der Wech­sel »nicht prio­ri­tär voll­zo­gen« wird.

Eine Digi­ta­li­sie­rung ist jedoch drin­gend erfor­der­lich, um die War­te­zei­ten zu ver­kür­zen. Denn hier ist noch kei­ne Ver­bes­se­rung in Sicht. Euphe­mis­tisch wird die War­te­zeit allein von der Ter­min­bu­chung bis zur Antrag­stel­lung mit »über einem Jahr« ange­ge­ben, wäh­rend sie oft zwei Jah­re beträgt. Nicht sel­ten war­ten zum Bei­spiel in Afgha­ni­stan Ehe­frau und Kin­der auch zwei­ein­halb Jah­re nach der Flücht­lings­an­er­ken­nung des Vaters noch immer dar­auf, ein Visum bean­tra­gen zu kön­nen, wäh­rend sie in Afgha­ni­stan stän­di­ger Gefahr aus­ge­setzt sind. Kann der Antrag dann end­lich gestellt wer­den, ver­ge­hen wei­te­re Mona­te, bis ein Visum erteilt wird.

Der Fami­li­en­nach­zug wur­de also weder gesetz­lich ver­bes­sert noch von den Abläu­fen her beschleunigt.

»Asyl­ver­fah­ren müs­sen fair, zügig und rechts­si­cher ablau­fen. Für schnel­le­re Ver­fah­ren wol­len wir das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ent­las­ten. Des­halb wird die Wider­rufs­prü­fung künf­tig wie­der anlass­be­zo­gen erfol­gen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 139)

Die sinn­lo­se Wider­rufs­prü­fung von Amts wegen (§ 73 Abs. 3 Asyl­ge­setz) wur­de von der Bun­des­re­gie­rung tat­säch­lich mit dem Gesetz zur Beschleu­ni­gung der Asyl­ge­richts­ver­fah­ren und Asyl­ver­fah­ren geän­dert in eine nun­mehr wie­der anlass­be­zo­ge­ne Prü­fung (Inkraft­tre­ten 1. Janu­ar 2023). Wäh­rend also mit der frü­he­ren Rege­lung stets nach drei Jah­ren geprüft wer­den muss­te, ob der Schutz­be­darf noch besteht, wird nun nur bei Anlass – zum Bei­spiel bei dau­er­haf­ten Ände­run­gen im Hei­mat­land – geprüft, ob der Schutz­sta­tus wider­ru­fen wer­den muss.

Eine Beschleu­ni­gung der Asyl­ver­fah­ren beim BAMF konn­te die Regie­rung jedoch nicht errei­chen. Einer durch­schnitt­li­chen Asyl­ver­fah­rens­dau­er von 6,6 Mona­ten Ende 2021 stan­den Ende April 2024 7,4 Mona­te gegen­über (sie­he BT-Drs. 20/6052 und BT-Drs. 20/12124). Das heißt, die Dau­er der Asyl­ver­fah­ren hat sich sogar ein wenig ver­län­gert. Aller­dings ist auch die Zahl der Asyl­an­trä­ge gestie­gen, von rund 191.000 Asyl­an­trä­gen im Jahr 2021 auf 250.000 im Jahr 2024.

Die Dau­er der Gerichts­ver­fah­ren hin­ge­gen hat sich im sel­ben Zeit­raum von 26,5 Mona­ten auf 17,2 Mona­te ver­rin­gert, ist damit aber immer noch sehr lang. Auch die Zahl anhän­gi­ger Gerichts­ver­fah­ren ist immer noch hoch und konn­te nur bedingt redu­ziert wer­den (Ende Sep­tem­ber 2021 waren es 156.000 Ver­fah­ren, Mit­te Mai 2024 rund 123.000 Verfahren).

Mit dem Gesetz zur Beschleu­ni­gung der Asyl­ge­richts­ver­fah­ren und Asyl­ver­fah­ren wur­de ein­ge­führt, dass das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt nicht mehr nur über Rechts­fra­gen ent­schei­den soll, son­dern auch über Tat­sa­chen­fra­gen – also zum Bei­spiel abschlie­ßend über die Situa­ti­on für Flücht­lin­ge in einem EU-Mit­glied­staat oder  in einem Her­kunfts­land. Da es bis Anfang 2025 erst ein ent­spre­chen­des Urteil, hier zur Situa­ti­on in Ita­li­en, gege­ben hat, kann der Effekt der Rege­lung noch nicht beur­teilt werden.

Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung bleibt unterfinanziert

Im Koali­ti­ons­ver­trag wur­de auch eine »flä­chen­de­cken­de, behör­den­un­ab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung« ver­ein­bart. Eine sol­che unab­hän­gi­ge Bera­tung ist essen­zi­ell für die Betrof­fe­nen sowie für zügi­ge und fai­re Asyl­ver­fah­ren. Mit dem Gesetz zur Beschleu­ni­gung der Asyl­ge­richts­ver­fah­ren und Asyl­ver­fah­ren wur­de tat­säch­lich eine sol­che unab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung ein­ge­führt (§ 12a Asyl­ge­setz). Gestar­tet wur­de sie 2023.

Doch von Beginn an wur­den die nöti­gen Haus­halts­mit­tel für eine flä­chen­de­cken­de Ver­sor­gung nicht zur Ver­fü­gung gestellt. Im Gesetz­ent­wurf wur­de zwar ein Bedarf von 80 Mil­lio­nen Euro fest­ge­stellt, doch 2023 wur­den nur 20 Mil­lio­nen im Haus­halt ein­ge­stellt, im Jahr 2024 25 Mil­lio­nen Euro und nach dem Bruch der Ampel-Koali­ti­on für den Über­gangs­haus­halt 2025 erneut nur 25 Mil­lio­nen Euro. Die Fol­ge: Wei­ter­hin haben die meis­ten Asyl­su­chen­den kei­nen Zugang zu einer sol­chen Beratung.

Die Bera­tung ist aber drin­gend not­wen­dig, da das Asyl­ver­fah­ren kom­plex ist und die Betrof­fe­nen oft wegen Sprach­bar­rie­ren, Trau­ma­ti­sie­run­gen und pre­kä­ren Lebens­be­din­gun­gen beson­ders schutz­be­dürf­tig sind. Außer­dem ist nach­ge­wie­sen, dass mit einer Ver­fah­rens­be­ra­tung die Schutz­su­chen­den das Ver­fah­ren und ihre Rol­le dar­in bes­ser ver­ste­hen kön­nen und sich die Qua­li­tät der Asyl­ver­fah­ren und ‑beschei­de ver­bes­sert. Damit gibt es  weni­ger Kla­gen gegen Beschei­de, was zu einer Ent­las­tung der Jus­tiz führt (sie­he Not­wen­di­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung wei­ter­hin nicht flä­chen­de­ckend vor­han­den | PRO ASYL).

Neue »siche­re Herkunftsstaaten«

Eine nicht im Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­se­he­ne Ver­schär­fung für die Asyl­ver­fah­ren beschloss die Ampel-Regie­rung im Okto­ber 2023: Sie erklär­te Mol­dau und Geor­gi­en zu »siche­ren Her­kunfts­län­dern« und schränk­te damit den Rechts­schutz für Men­schen aus die­sen Län­dern deut­lich ein. Der Absicht des Koali­ti­ons­ver­trags, die Asyl­ver­fah­ren für que­e­re Ver­folg­te siche­rer und bes­ser zu machen, wider­spricht die­se Maß­nah­me ins­be­son­de­re im Hin­blick auf Geor­gi­en, wo LGTBIQ*-Personen mas­si­ve Dis­kri­mi­nie­run­gen drohen.

Im Hin­blick auf einen ver­bes­ser­ten und schnel­le­ren Ablauf von Asyl­ver­fah­ren ist die Bilanz der Ampel­re­gie­rung also ernüchternd.

»Das Kon­zept der AnkER-Zen­tren wird von der Bun­des­re­gie­rung nicht wei­ter­ver­folgt.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 111)

Unter der letz­ten Gro­ßen Koali­ti­on gab es einen Trend zu soge­nann­ten AnkER-Zen­tren, einem aus Bay­ern stam­men­den Kon­zept, bei dem mög­lichst aus einer Ein­rich­tung her­aus die Asyl­ver­fah­ren sowie die Abschie­bun­gen statt­fin­den sol­len. Davon woll­te die Ampel-Regie­rung laut Koali­ti­ons­ver­trag Abstand neh­men, tat­säch­lich wur­den in der ver­gan­ge­nen Legis­la­tur­pe­ri­ode auch kei­ne neu­en AnkER-Zen­tren mehr in Betrieb genommen.

Doch es wur­den auch kei­ne gesetz­li­chen Maß­nah­men ergrif­fen, um dem Trend zu Mas­sen­un­ter­künf­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken. Der Flug­ha­fen Tegel in Ber­lin zum Bei­spiel ist zwar kein offi­zi­el­les AnkER-Zen­trum, fun­giert aber de fac­to als ein sol­ches. Die nach wie vor bestehen­den Wohn­ver­pflich­tun­gen in (Massen)unterkünften, die Wohn­sitz­auf­la­gen und das Ver­teil­sys­tem nach dem König­stei­ner Schlüs­sel ver­hin­dern Teil­ha­be und Inte­gra­ti­on und sind zum Bei­spiel für die Ent­wick­lung von Kin­dern und die psy­chi­sche Gesund­heit schäd­lich (sie­he  Berich­te Aktu­el­les zur psy­chi­schen Gesund­heit von Geflüch­te­ten – BAfF-Zen­tren und Home – Kein Ort für Kin­der und Health Situa­ti­on | anker-watch.de).

Die gro­ßen Mas­sen­un­ter­künf­te bie­ten weder Pri­vat­sphä­re noch genü­gend Schutz vor Gewalt, es exis­tie­ren kei­ne ver­bind­li­chen Stan­dards: Die Kon­zep­te zur Iden­ti­fi­zie­rung vul­nerabler Per­so­nen sind unter­schied­lich und viel­fäl­tig, aber in der Flä­che und der Qua­li­tät alles ande­re als gesi­chert. So müs­sen Mas­sen­un­ter­künf­te, auch im Ver­bund mit ande­ren Auf­la­gen, zum Teil als gewalt­vol­le und gewalt­för­dern­de Rah­men­be­din­gun­gen ver­stan­den werden.

Zudem hat die Regie­rung aus SPD, Grü­nen und FDP wäh­rend ihrer Amts­zeit der GEAS- Reform zuge­stimmt, in der beson­ders die neu­en Grenz­ver­fah­ren, aber auch regu­lä­re Asyl­ver­fah­ren in geschlos­se­nen oder halb­ge­schlos­se­nen gro­ßen Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten, vor­ge­se­hen sind. Das sind haft­ähn­li­che Zen­tren, in denen Geflüch­te­te sogar noch iso­lier­ter sein wer­den als in AnkER- Zen­tren (sie­he auch FAQ zur euro­päi­schen Asyl­re­form GEAS: Ant­wor­ten auf die wich­tigs­ten Fra­gen | PRO ASYL.)

»Wir wer­den das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz im Lich­te der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts wei­ter­ent­wi­ckeln. Wir wol­len den Zugang für Asyl­be­wer­be­rin­nen und Asyl­be­wer­ber zur Gesund­heits­ver­sor­gung unbü­ro­kra­ti­scher gestal­ten. Min­der­jäh­ri­ge Kin­der sind von Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen bzw. ‑kür­zun­gen aus­zu­neh­men.«  (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 111).

Die Ampel hat zwar das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) geän­dert – aber zum Nega­ti­ven: Sie hat die Vor­ga­ben des Ver­fas­sungs­ge­richts nicht nur nicht umge­setzt, son­dern mit Neu­re­ge­lun­gen den Ver­fas­sungs­bruch wider bes­se­res Wis­sen auf einen neu­en Höhe­punkt getrieben.

Die bis­lang wei­test­ge­hen­de Ver­let­zung der sozia­len Rech­te Geflüch­te­ter ist eine im Novem­ber 2024 mit dem Sicher­heits­pa­ket in Kraft getre­te­ne gesetz­li­che Rege­lung, die Men­schen wäh­rend des Asyl-Zustän­dig­keits­ver­fah­rens (Dub­lin-Ver­fah­ren) jeg­li­ches Recht auf Unter­kunft und Ver­sor­gung voll­stän­dig ent­zieht. Wohl weil die­se Rege­lung auf wack­li­gen Füßen steht und von vie­len Jurist*innen für ver­fas­sungs­wid­rig gehal­ten wird, wur­de sie bis­lang noch nicht in vol­ler Här­te ange­wen­det. Und in Ein­zel­fäl­len ver­hin­der­ten Gerich­te ent­spre­chen­de Ver­fü­gun­gen bereits.

Zuvor wur­de bereits mit dem Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz eine Ver­län­ge­rung des Grund­leis­tungs­be­zugs auf 36 Mona­te beschlos­sen (zuvor 18 Mona­te). Dadurch wur­de der Zugang zur Gesund­heits­ver­sor­gung nicht, wie im Koali­ti­ons­ver­trag ange­kün­digt, leich­ter, son­dern erheb­lich schwe­rer, was erns­te Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit der betrof­fe­nen Men­schen haben kann. Die Aus­deh­nung der Zeit­span­ne für die dis­kri­mi­nie­ren­den gerin­ge­ren Leis­tun­gen nach Asyl­bLG auf drei Jah­re dürf­te für sich genom­men sogar ver­fas­sungs­wid­rig sein.

Auch die Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te 2024/2025 gehört zu den Ver­schlech­te­run­gen. Die in ihren Zahl­funk­tio­nen beschränk­te Kar­te wur­de von der Poli­tik mit her­bei­fan­ta­sier­ten Behaup­tun­gen ein­ge­führt und als Abschre­ckungs­in­stru­ment gefei­ert. In der Pra­xis macht die Kar­te nichts bes­ser, ver­ur­sacht aber eine Men­ge Ärger.

Und noch eine Ver­schlech­te­rung greift neu­er­dings: Seit Anfang 2025 erhal­ten Men­schen, die Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz erhal­ten, noch weni­ger Unter­stüt­zung als 2024. Die Bun­des­re­gie­rung ord­ne­te eine Kür­zung zwi­schen 13 und 19 Euro monat­lich an. Das ist das Ergeb­nis der Anpas­sung an die jähr­li­che Lohn- und Preis­ent­wick­lung durch das sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Bun­des­so­zi­al­mi­nis­te­ri­um. Die­se Minus­run­de gilt für Geflüch­te­te, nicht aber für Men­schen, die Sozi­al­hil­fe oder Bür­ger­geld bezie­hen. Die­se erhal­ten zwar auch kei­nen Infla­ti­ons­aus­gleich, aber zumin­dest die glei­chen Leis­tun­gen wie 2024. So wird die Ungleich­heit zwi­schen bei­den Grup­pen ein­mal mehr vergrößert.

Beson­ders bedenk­lich ist: Alle die­se Ver­schär­fun­gen wur­den gegen die Ein­wän­de von Zivil­ge­sell­schaft, Expert*innen und Wissenschaftler*innen beschlos­sen. PRO ASYL for­dert seit Jah­ren die Abschaf­fung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes und eine men­schen­wür­di­ge Absi­che­rung für alle Men­schen in Deutsch­land. 2023 fand die­se For­de­rung die Unter­stüt­zung von über 200 Orga­ni­sa­tio­nen.

Mehr noch: Erschre­ckend ist vor allem die Igno­ranz, mit der die Ampel-Regie­rung ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken über­gan­gen hat. Die­se Igno­ranz zeig­te sich auch in der Tat­sa­che, dass das im Okto­ber 2022 vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ergan­ge­ne Ver­bot der Leis­tungs­kür­zung für Allein­ste­hen­de in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten bis zum Ende der Legis­la­tur­pe­ri­ode bun­des­ge­setz­lich schlicht nicht umge­setzt wur­de. Noch immer ist nicht flä­chen­de­ckend sicher­ge­stellt, dass die Leis­tun­gen für Allein­ste­hen­de in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten nicht gekürzt wer­den. Denn obwohl das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz mehr­fach (zum Schlech­te­ren) ver­än­dert wur­de, wur­de die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht eingearbeitet.

Gera­de beim The­ma der Sozi­al­leis­tun­gen für geflüch­te­te Men­schen ist die Bilanz der Ampel-Regie­rung also beson­ders enttäuschend.

»Die Mel­de­pflich­ten von Men­schen ohne Papie­re wol­len wir über­ar­bei­ten, damit Kran­ke nicht davon abge­hal­ten wer­den, sich behan­deln zu las­sen. Wir hal­ten es für erfor­der­lich, die psy­cho­so­zia­le Hil­fe für geflüch­te­te Men­schen zu ver­ste­ti­gen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 111)

Eine sol­che Über­ar­bei­tung ist nicht pas­siert. Ein Bünd­nis von mehr als 60 zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen, zu denen auch PRO ASYL gehör­te, hat­te mit der Kam­pa­gne gleich­be­han­deln 2022 noch ein­mal die Dring­lich­keit des Anlie­gens ver­deut­licht, jedoch lei­der ohne Erfolg.

Auch die psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung für Geflüch­te­te ist nach wie vor mehr als unzu­rei­chend. Das Sys­tem der psy­cho­so­zia­len Hil­fen durch pro­fes­sio­nel­le und spe­zia­li­sier­te Stel­len ist unzu­rei­chend finan­ziert und aus­ge­stat­tet, wie die Berich­te der Bun­des­wei­ten Arbeits­ge­mein­schaft der Psy­cho­so­zia­len Zen­tren Jahr für Jahr bele­gen. Die Psy­cho­so­zia­len Zen­tren (PSZ) sind häu­fig die ein­zi­gen mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Anlauf­stel­len für Geflüch­te­te mit psy­cho­so­zia­len Bedar­fen, kön­nen die Nach­fra­ge nach eige­ner Aus­kunft aber nicht im Ansatz decken. Die Bun­des­zu­schüs­se für die PSZ sind 2024 sogar zurück­ge­gan­gen, 2025 dro­hen wei­te­re Strei­chun­gen von 50 Prozent.

Zu der unzu­rei­chen­den Ver­sor­gung Geflüch­te­ter tra­gen auch die Rege­lun­gen im Asyl­bLG bei, die dazu füh­ren, dass Geflüch­te­te vie­ler­orts nur unter erschwer­ten Bedin­gun­gen in die Regel­ver­sor­gung gelan­gen. So wer­den etwa Anträ­ge auf Psy­cho­the­ra­pie von den Sozi­al­äm­tern immer noch restrik­tiv gehand­habt und häu­fig erst ein­mal abge­lehnt. Die Ver­län­ge­rung der Grund­leis­tungs­zeit im Asyl­bLG wirkt sich hier deut­lich ver­schär­fend aus.

Auch für die­se The­men wur­den in der Legis­la­tur der Ampel-Regie­rung also lei­der kei­ne Ver­bes­se­run­gen erreicht.

Einen Erfolg gibt es doch noch: Mit dem Gewalt­hil­fe­ge­setz haben Bun­des­re­gie­rung und Bun­des­tag die Mög­lich­keit geschaf­fen, einen Schutz­platz für alle Frau­en zu instal­lie­ren, die einen brau­chen, auch für geflüch­te­te Frau­en. Nun hat heu­te auch der Bun­des­rat sei­ne Zustim­mung erteilt. Es wird aller­dings Pro­ble­me in der Pra­xis geben: Rege­lun­gen und Hemm­nis­se im Asyl­recht (wie die Wohn­sitz­auf­la­ge) kön­nen ver­hin­dern, dass geflüch­te­te Frau­en in ein Frau­en­haus zie­hen kön­nen. Das wur­de im Gewalt­hil­fe­ge­setz lei­der nicht berücksichtigt.

»Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann blei­ben. Wir star­ten eine Rück­füh­rungs­of­fen­si­ve, um Aus­rei­sen kon­se­quen­ter umzu­set­zen, ins­be­son­de­re die Abschie­bung von Straf­tä­tern und Gefähr­dern. Der Bund wird die Län­der bei Abschie­bun­gen künf­tig stär­ker unter­stüt­zen. Wir wer­den unse­rer beson­de­ren huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung gerecht und Kin­der und Jugend­li­che grund­sätz­lich nicht in Abschie­be­haft neh­men.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 112)

Bei der soge­nann­ten Rück­füh­rungs­of­fen­si­ve hat die Ampel-Regie­rung lei­der Wort gehal­ten, auch wenn es medi­al häu­fig anders dar­ge­stellt wird. Es gibt einen kon­ti­nu­ier­li­chen Anstieg der Abschie­bungs­zah­len seit dem Beginn der Ampel-Regie­rung (Abschie­bun­gen in Deutsch­land | Zah­len zu Asyl in Deutsch­land | bpb.de).  So waren es 2020 noch 10.800 Abschie­bun­gen, 2021 bereits fast 12.000, 2022 fast 13.000 Abschie­bun­gen und 2023 16.430 Abschie­bun­gen (Deut­scher Bun­des­tag – 16.430 Abschie­bun­gen im Jahr 2023). Die­se Zahl war im Jahr 2024 bereits im Sep­tem­ber mit 15.000 Men­schen knapp erreicht – ein Anstieg von 20 Pro­zent im Ver­gleich zum Vorjahr.

Beson­ders kri­tisch waren die Abschie­bun­gen in unsi­che­re Län­der wie Iran oder Irak, da dort lebens­be­droh­li­che Zustän­de und repres­si­ve Regime herr­schen. Trotz pre­kä­rer Lage der Jesid*innen im Irak und trotz der deut­schen Aner­ken­nung des Völ­ker­mor­des an ihnen wur­den auch Jesid*innen abgeschoben.

Am 30. August 2024 star­te­te zudem erst­mals seit der Macht­über­nah­me der Tali­ban ein Abschie­be­flug nach Afgha­ni­stan, trotz der wei­ter­hin kata­stro­pha­len men­schen­recht­li­chen Situa­ti­on dort. Zudem gibt es immer häu­fi­ger For­de­run­gen, nach Syri­en abzu­schie­ben, obwohl das Land wei­ter­hin poli­tisch insta­bil und unsi­cher ist.

Zudem ver­schärf­te die Ampel-Regie­rung die Geset­zes­la­ge mehr­fach: Das soge­nann­te Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz, das am 27. Febru­ar 2024 in Kraft trat, ver­schärft Abschie­be­maß­nah­men zusätz­lich durch eine mas­si­ve Aus­wei­tung von Abschie­be­haft und Aus­rei­se­ge­wahr­sam sowie erwei­ter­te Poli­zei­be­fug­nis­se. Nach dem Anschlag in Solin­gen im August 2024 leg­te die Ampel-Koali­ti­on nach und ver­schärf­te mit dem Sicher­heits­pa­ket die Asyl­po­li­tik wei­ter, unter ande­rem durch einen ver­fas­sungs­wid­ri­gen Sozi­al­leis­tungs­aus­schluss für Dub­lin-Fäl­le und eine euro­pa­rechts­wid­ri­ge Rege­lung zum Wider­ruf des Schutz­sta­tus bei Heimatlandreisen.

»Wir wer­den das kom­pli­zier­te Sys­tem der Dul­dungs­tat­be­stän­de ord­nen und neue Chan­cen für Men­schen schaf­fen, die bereits ein Teil unse­rer Gesell­schaft gewor­den sind: Gut inte­grier­te Jugend­li­che sol­len nach drei Jah­ren Auf­ent­halt in Deutsch­land und bis zum 27. Lebens­jahr die Mög­lich­keit für ein Blei­be­recht bekom­men (§ 25a Auf­ent­halts­ge­setz, Auf­enthG). […] Der bis­he­ri­gen Pra­xis der Ket­ten­dul­dun­gen set­zen wir ein Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ent­ge­gen […] Wir wol­len Gedul­de­ten in der Aus­bil­dung und ihren Betrie­ben mehr Rechts­si­cher­heit durch eine Auf­ent­halts­er­laub­nis (§ 60 c Auf­enthG) ver­lei­hen. […] Die „Dul­dung light“ schaf­fen wir ab. […] Wir wer­den die Klä­rung der Iden­ti­tät einer Aus­län­de­rin oder eines Aus­län­ders um die Mög­lich­keit, eine Ver­si­che­rung, an Eides statt abzu­ge­ben, erwei­tern und wer­den hier­zu eine gesetz­li­che Rege­lung im Aus­län­der­recht schaf­fen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 138)

Die Ampel hat, wie im Koali­ti­ons­ver­trag ange­kün­digt, den Bean­tra­gungs­zeit­raum eines Blei­be­rechts für jun­ge Men­schen bis zum 27. Lebens­jahr (zuvor 21. Lebens­jahr) ver­län­gert und die Vor­auf­ent­halts­zei­ten von vier auf drei Jah­re gesenkt. Den­noch ist ein Blei­be­recht für gut inte­grier­te Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de nach § 25a Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG) in der Pra­xis für vie­le jun­ge Men­schen in wei­te Fer­ne gerückt. Grund dafür ist die auf Betrei­ben der FDP neu ein­ge­führ­te Vor­dul­dungs­zeit von zwölf Mona­ten: Die jun­gen Leu­te müs­sen min­des­tens zwölf Mona­te gedul­det sein, bevor sie eine Auf­ent­halts­er­laub­nis bean­tra­gen kön­nen. Eine lan­ge Zeit, in der Aus­län­der­be­hör­den die Mög­lich­keit haben, eben jene jun­gen Men­schen abzu­schie­ben, die doch eigent­lich mit dem Auf­ent­halts­ti­tel die Mög­lich­keit bekom­men soll­ten, wegen guter Inte­gra­ti­on in Deutsch­land blei­ben zu kön­nen. Das läuft dem Inte­gra­ti­ons­ge­dan­ken zuwi­der und unter­läuft die gleich­zei­tig vor­ge­nom­me­nen Verbesserungen.

Posi­tiv: Das Chancen-Aufenthaltsrecht

Das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht war das pro­gres­sivs­te Blei­be­recht-Pro­jekt der Ampel und hat sich auch bewährt, wie die Zah­len zei­gen: Ende 2022 lag die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen noch bei 304.300, dar­un­ter 248.100 mit einer Dul­dung. Die­se Zahl war zuvor  seit 2012 jähr­lich gestie­gen und hat­te sich in die­sen zehn Jah­ren fast ver­drei­facht – wohl­ge­merkt trotz unzäh­li­ger Abschie­bungs­re­for­men. Bis Mit­te 2024 aber redu­zier­te sich die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen um 77.400 (rund 25 Pro­zent), die Zahl der Gedul­de­ten um 65.400 auf 182.700 (26 Pro­zent). Zur sel­ben Zeit leben cir­ca 66.700 Men­schen mit einem Chan­cen­auf­ent­halt in Deutsch­land und ca. 3.300 Men­schen haben seit­dem im Anschluss an den Chan­cen­auf­ent­halt ein Blei­be­recht auf­grund von nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on erhalten.

Kei­ne ande­re Rege­lung – auch nicht Abschie­bun­gen – hat die Zahl der aus­rei­se­pflich­ti­gen Men­schen in Deutsch­land so sehr gesenkt wie das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht und der dar­an anschlie­ßen­de Über­gang in Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen. Der Haken: Die Rege­lung war von vorn­her­ein auf drei Jah­re beschränkt und bezog sich nur auf Men­schen, die sich zum 31.10.2022 bereits für fünf Jah­re in Deutsch­land auf­ge­hal­ten hat­ten. Somit pro­fi­tie­ren Gedul­de­te, die die­se eng gefass­ten Vor­aus­set­zun­gen nicht erfül­len, aber den­noch schon lan­ge in Deutsch­land sind, nicht von die­ser Rege­lung. So las­sen sich jedoch weder Ket­ten­dul­dun­gen nach­hal­tig ver­hin­dern noch erhal­ten Lang­zeit­ge­dul­de­te eine wür­de­vol­le Per­spek­ti­ve für ein Leben in Deutschland.

Mit der Ein­füh­rung des § 16g Auf­enthG hat die Ampel in der Tat eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zur Berufs­aus­bil­dung für aus­rei­se­pflich­ti­ge Men­schen geschaf­fen. Im Gegen­satz zur bis­he­ri­gen Aus­bil­dungs­dul­dung wird für die­sen Auf­ent­halt jedoch in der Regel eine Lebens­un­ter­halts­si­che­rung vor­aus­ge­setzt, was vor allem bei schu­li­schen Aus­bil­dun­gen pro­ble­ma­tisch sein kann.

Arbeits­ver­bo­te und Dul­dung light bleiben

Ent­ge­gen den Ver­spre­chun­gen im Koali­ti­ons­ver­trag hat die Regie­rung weder die Dul­dung light abge­schafft noch eine Ver­si­che­rung an Eides statt zur Klä­rung der Iden­ti­tät ein­ge­führt. Auch Arbeits­ver­bo­te wur­den nicht, wie ange­kün­digt, auf­ge­ho­ben. Das sind alles Ver­säum­nis­se, die vie­len Men­schen wei­ter­hin den Weg in Blei­be­rech­te versperren.

Als Fazit bleibt ste­hen: Das Chan­cen­auf­ent­halts­recht ist das erfolg­reichs­te Pro­jekt im Bereich des Blei­be­rechts der Ampel. Bei den ande­ren Neu­re­ge­lun­gen wur­den den Men­schen lei­der stets auch neue Stei­ne in den Weg gelegt.

»Wir schaf­fen ein moder­nes Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht. Dafür wer­den wir die Mehr­fach­staats­an­ge­hö­rig­keit ermög­li­chen und den Weg zum Erwerb der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­ein­fa­chen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 94)

Die Ände­run­gen des Staats­an­ge­hö­rig­keits­rechts gehör­ten zu den weni­gen Ver­spre­chen im Koali­ti­ons­ver­trag, die tat­säch­lich umge­setzt wur­den. So wur­de im Juni 2024 die gefor­der­te Vor­auf­ent­halts­zeit bei der Anspruchs­ein­bür­ge­rung von acht auf fünf Jah­re ver­kürzt. Zudem ist auch die Mehr­fach­staats­an­ge­hö­rig­keit für alle und nicht nur für pri­vi­le­gier­te Grup­pen möglich.

Die­se Ände­run­gen wir­ken tat­säch­lich wie eine Moder­ni­sie­rung, die den Zugang zur Ein­bür­ge­rung erleich­tern könn­te. Durch die Hin­ter­tür wur­den jedoch ande­re Vor­aus­set­zun­gen so eng gefasst, dass die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit für vie­le unmög­lich wur­de. Moder­ni­sie­rung wur­de im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren dann doch mit Nütz­lich­keit ver­mischt: Ein­ge­bür­gert wer­den sol­len nur die­je­ni­gen, die arbeiten.

Bis zur Geset­zes­än­de­rung war es mög­lich, dass von der eigent­lich gefor­der­ten Siche­rung des Lebens­un­ter­halts durch eige­ne Erwerbs­tä­tig­keit abge­se­hen wur­de, wenn die Betrof­fe­nen den Bezug von (ergän­zen­den) Sozi­al­leis­tun­gen nicht selbst zu ver­tre­ten hat­ten. Nun sind aber die Aus­nah­men von der eigen­stän­di­gen Lebens­un­ter­halts­si­che­rung der­art eng gefasst, dass eine gro­ße Zahl Men­schen, und man­che sogar auf Dau­er, nicht ein­ge­bür­gert wer­den. Das sind zum Bei­spiel Allein­er­zie­hen­de oder in Teil­zeit täti­ge Eltern; Men­schen, die Ange­hö­ri­ge pfle­gen und des­halb kei­ne Voll­zeit­be­schäf­ti­gung aus­üben kön­nen; Kran­ke und Men­schen mit Behin­de­rung, die wegen der Beein­träch­ti­gung nicht den Lebens­un­ter­halt sichern kön­nen; Rentner*innen mit auf­sto­cken­den Leis­tun­gen. Nur in Fäl­len der »beson­de­ren Här­te« sind Aus­nah­men im Ermes­sen der Behör­den mög­lich. Die Schwel­le die­ser beson­de­ren Här­te ist aller­dings sehr hoch, der gesetz­li­che Anspruch auf eine Ein­bür­ge­rung ist vie­len Per­so­nen­grup­pen somit verwehrt.

Zwar ist das neue Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht in eini­gen Punk­ten ein Mei­len­stein für Deutsch­land, doch hat sich die Nütz­lich­keits­de­bat­te auch in die­sem Bereich durchgesetzt.

»Wir wer­den die geord­ne­ten Ver­fah­ren des Resett­le­ment anhand der vom UNHCR gemel­de­ten Bedar­fe ver­stär­ken. Wir wer­den ein huma­ni­tä­res Auf­nah­me­pro­gramm des Bun­des in Anleh­nung, an die bis­her im Zuge des Syri­en-Krie­ges durch­ge­führ­ten Pro­gram­me ver­ste­ti­gen und die­se jetzt für Afgha­ni­stan nut­zen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 113)

Die Ampel-Regie­rung trat 2021 mit dem Ziel an, siche­re und geord­ne­te Zugangs­we­ge für Schutz­su­chen­de zu stär­ken. Im Koali­ti­ons­ver­trag wur­de ange­kün­digt, das Resett­le­ment aus­zu­bau­en und ein huma­ni­tä­res Auf­nah­me­pro­gramm für Afgha­ni­stan nach dem Vor­bild frü­he­rer Syri­en-Pro­gram­me zu ver­ste­ti­gen. Doch in der Pra­xis blie­ben die Ergeb­nis­se weit hin­ter den Erwar­tun­gen zurück. Die Zahl der lega­len Ein­rei­se­we­ge bleibt begrenzt, und vie­le Schutz­su­chen­de wer­den wei­ter in Unsi­cher­heit gelassen.

Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm Afgha­ni­stan: Weit­ge­hend wirkungslos

Ein beson­ders ambi­tio­nier­tes Vor­ha­ben war das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm Afgha­ni­stan, das monat­lich 1.000 Afghan*innen eine siche­re Flucht vor dem Tali­ban-Regime ermög­li­chen soll­te. Doch seit dem Start im Okto­ber 2022 konn­ten bis Dezem­ber 2024 ledig­lich 1.020 Per­so­nen auf­ge­nom­men wer­den. Seit Som­mer 2024 wur­den kei­ne neu­en Auf­nah­me­zu­sa­gen mehr erteilt, und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den gebe­ten, kei­ne wei­te­ren Fäl­le mehr einzureichen.

Das Pro­gramm wird nun nur noch abge­wi­ckelt. Etwa 2.000 Afghan*innen, die bereits eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhal­ten haben, sol­len noch nach Deutsch­land geholt wer­den, wäh­rend rund 17.000 Men­schen, die sich bereits im Antrags­ver­fah­ren befan­den, ohne Per­spek­ti­ve zurück­ge­las­sen wer­den. Damit bleibt das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm, das einst als gro­ße Hoff­nung galt, weit­ge­hend wirkungslos.

Wäh­rend das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm schei­ter­te, konn­ten über ande­re recht­li­che Wege bis Ende 2024 ins­ge­samt etwa 35.000 Afghan*innen nach Deutsch­land kom­men. Das ist eine beacht­li­che Zahl, doch die­se über­le­bens­wich­ti­gen Maß­nah­men waren ein­zel­fall­be­zo­gen und oft auf indi­vi­du­el­le Ret­tungs­ak­tio­nen oder Son­der­ge­neh­mi­gun­gen angewiesen.

Die Bun­des­re­gie­rung stell­te in den Jah­ren 2022 bis 2025 zwar ins­ge­samt meh­re­re tau­send Plät­ze für Resett­le­ment und huma­ni­tä­re Auf­nah­me zur Ver­fü­gung, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich  auf einem recht hohen Niveau. Die zuge­sag­ten Plät­ze rei­chen jedoch bei wei­tem nicht aus, um dem tat­säch­li­chen Bedarf gerecht zu wer­den, ins­be­son­de­re ange­sichts der glo­ba­len Kri­sen und Kon­flik­te, die wei­ter­hin Men­schen zur Flucht zwingen.

Die Zukunft der huma­ni­tä­ren Auf­nah­me­pro­gram­me ist unge­wiss. Beson­ders besorg­nis­er­re­gend ist, dass CDU und CSU in ihrem Wahl­pro­gramm ange­kün­digt haben, alle frei­wil­li­gen Auf­nah­me­pro­gram­me zu been­den. Soll­te die­se For­de­rung nach der Bun­des­tags­wahl umge­setzt wer­den, wür­de dies Schutz­su­chen­den end­gül­tig die Mög­lich­keit neh­men, auf lega­lem Weg nach Deutsch­land zu gelan­gen. Auch muss die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung bis Som­mer 2025 neue Zusa­gen für das UN-Resett­le­ment-Pro­gramm machen. Ob dies im bis­he­ri­gen Umfang geschieht oder ob sich die Tür für lega­le Zugangs­we­ge noch wei­ter schließt, bleibt abzuwarten.

»Wir set­zen uns für eine grund­le­gen­de Reform des Euro­päi­schen Asyl­sys­tems ein. Unser Ziel ist eine fai­re Ver­tei­lung von Ver­ant­wor­tung und Zustän­dig­keit bei der Auf­nah­me zwi­schen den EU-Staa­ten. Wir wol­len bes­se­re Stan­dards für Schutz­su­chen­de in den Asyl­ver­fah­ren und bei der Inte­gra­ti­on in den EU-Staa­ten.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 112)

In die Legis­la­tur der Ampel-Regie­rung fiel die größ­te Asyl­rechts­ver­schär­fung der EU: Die Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS). Auch die Bun­des­re­gie­rung stimm­te den mas­si­ven Ver­schär­fun­gen zu, die Haft­la­ger an den Außen­gren­zen – selbst für Kin­der -, mehr Frei­heits­be­schrän­kun­gen für Asyl­su­chen­de sowie eine Sen­kung der Anfor­de­run­gen an soge­nann­te siche­re Dritt­staa­ten und siche­re Her­kunfts­staa­ten vor­se­hen. PRO ASYL kri­ti­sier­te die Eini­gung als einen his­to­ri­schen Tiefpunkt.

Dabei hat­te die Ampel-Regie­rung ver­spro­chen, sich für eine »grund­le­gen­de Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems« ein­zu­set­zen, die zu einer fai­ren Ver­tei­lung von Asyl­su­chen­den zwi­schen den Mit­glied­staa­ten sowie zu bes­se­ren Stan­dards im Asyl­ver­fah­ren füh­ren und das Elend an den Außen­gren­zen been­den wür­de. Doch genau das wird mit der Reform nicht erreicht wer­den. Die neu­en ver­pflich­ten­den Grenz­ver­fah­ren füh­ren den »Hot Spot«-Ansatz wei­ter, mit dem mög­lichst vie­le schutz­su­chen­de Men­schen an den Außen­gren­zen fest­ge­hal­ten wer­den sol­len. Das führt schon jetzt dazu, dass die Men­schen in oft unwür­di­gen Zustän­den an den Außen­gren­zen leben und nicht aus­rei­chend medi­zi­nisch ver­sorgt und recht­lich bera­ten wer­den kön­nen. Auch wird die Reform nicht für mehr Fair­ness zwi­schen den Mit­glied­staa­ten füh­ren. Denn im Kern hält die Reform an den unfai­ren Dub­lin-Rege­lun­gen für die Zustän­dig­keits­klä­rung fest, womit im Regel­fall die EU-Außen­grenz­staa­ten für die Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren zustän­dig sein wer­den. Nur in Aus­nah­me­fäl­len soll es zu Soli­da­ri­täts­maß­nah­men zwi­schen den EU-Staa­ten kom­men. Und ob tat­säch­lich Asyl­su­chen­de auf­ge­nom­men oder nur Geld gezahlt wird, ist kom­plett dem ein­zel­nen Mit­glied­staat über­las­sen. Mehr Infor­ma­tio­nen zur GEAS-Reform fin­det sich in die­sem FAQ.

Auch die Umset­zung der GEAS-Reform in Deutsch­land wur­de von der Ampel-Regie­rung bereits vor­an­ge­trie­ben, unter ande­rem mit einem – am Tag des Ampel-Bruchs beschlos­se­nen – Umset­zungs­ge­setz­ent­wurf. Mit die­sem Ent­wurf wur­de deut­lich, dass die Reform auch in Deutsch­land zu erheb­li­chen Ver­schär­fun­gen füh­ren wird, gera­de im Bereich der Frei­heits­be­schrän­kung und Haft. Ohne die FDP hat­ten SPD und die Grü­nen nach dem Bruch der Ampel dann aber kei­ne Mehr­heit mehr im Par­la­ment für den Entwurf.

Die Zustim­mung der Bun­des­re­gie­rung zur GEAS-Reform ist wohl eine der größ­ten Ent­täu­schun­gen, denn im Lau­fe der Ver­hand­lun­gen hat die Ampel-Regie­rung Stück für Stück men­schen­recht­li­che Posi­tio­nen auf­ge­ge­ben. Die Kon­se­quen­zen wer­den wir ab Juni 2026 sehen, wenn die neu­en Geset­ze in der Pra­xis ange­wen­det werden.

»Wir wol­len irre­gu­lä­re Migra­ti­on wirk­sam redu­zie­ren und Ursa­chen für die lebens­ge­fähr­li­che Flucht bekämp­fen. Wir wol­len die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen been­den.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 112)

»Es ist eine zivi­li­sa­to­ri­sche und recht­li­che Ver­pflich­tung, Men­schen nicht ertrin­ken zu las­sen. Die zivi­le See­not­ret­tung darf nicht behin­dert wer­den. Wir stre­ben eine staat­lich koor­di­nier­te und euro­pä­isch getra­ge­ne See­not­ret­tung im Mit­tel­meer an und wol­len mit mehr Län­dern Maß­nah­men wie den Mal­ta-Mecha­nis­mus wei­ter­ent­wi­ckeln.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 113)

Die Far­be der Unter­schrif­ten unter dem Koali­ti­ons­ver­trag war noch nicht getrock­net, da schien das Ziel, ille­ga­le Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen zu been­den, auch schon ver­ges­sen. Dabei wäre die ange­kün­dig­te wer­te­ba­sier­te Außen­po­li­tik (Sei­te 6), die inter­na­tio­na­len Kon­ven­tio­nen ach­tet und euro­päi­sche Geset­ze ver­tei­digt, genau die Ant­wort gewe­sen, um auf das men­schen­ver­ach­ten­de Kal­kül Lukaschen­kos und die um sich grei­fen­de huma­ni­tä­re Not­la­ge an der öst­li­chen EU- Außen­gren­ze zu Bela­rus zu reagie­ren. Ein Vor­stoß in die­se Rich­tung blieb eben­so aus wie poli­ti­sche Initia­ti­ven, um gegen die Push­back-Geset­ze vor­zu­ge­hen, mit denen völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen in immer mehr EU-Mit­glieds­staa­ten einen legi­ti­men Anstrich bekom­men. Und so wun­dert es nicht, dass auch auf EU Ebe­ne der Wider­stand der Bun­des­re­gie­rung gegen rech­te Hardliner*innen brö­ckel­te, die auch dort nun­mehr den Ton ange­ben.

Auch an den eige­nen Bin­nen­gren­zen weicht die Bun­des­re­gie­rung die Ach­tung euro­päi­scher Geset­ze und Kon­ven­tio­nen auf. Trotz ein­deu­ti­ger Recht­spre­chung des EuGHs hält sie nicht nur an den Bin­nen­grenz­kon­trol­len zu Öster­reich fest, son­dern wei­te­te die­se bis Sep­tem­ber 2024 sogar auf sämt­li­che deut­schen Schen­gen-Bin­nen­gren­zen aus. Das ist nichts weni­ger als der Aus­stieg aus dem grenz­kon­troll­frei­en Schen­gen­raum, einer zen­tra­len Errun­gen­schaft der euro­päi­schen Gemein­schaft. Par­al­lel zeich­nen Berich­te und Sta­tis­ti­ken ein alar­mie­ren­des Bild. Wie­der­holt errei­chen auch PRO ASYL Schil­de­run­gen, dass Men­schen, die ver­sucht haben, einen Asyl­an­trag zu stel­len, an deut­schen Gren­zen abge­wie­sen wur­den (sie­he Push­backs auch an deut­schen Gren­zen?).

Kei­ne Fort­schrit­te bei der euro­päi­schen Seenotrettung

14. Juni 2023: Vor der grie­chi­schen Küs­te ertrin­ken mehr als 600 Men­schen, unter den Über­le­ben­den ist kei­ne Frau, kein Kind. Sowohl die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che als auch die euro­päi­sche Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex sind 15 Stun­den vor dem Unter­gang über das in See­not gera­te­ne Schiff Adria­na mit rund 750 Men­schen an Bord infor­miert. Fron­tex löst kei­nen May­day-Ret­tungs­ruf aus, und die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che ergreift viel zu spät Ret­tungs­maß­nah­men – und die­se sind dann auch noch ungeeignet.

In den Jah­ren 2021 bis Ende 2024 star­ben laut UNHCR min­des­tens 13.182 Men­schen auf der Flucht über das Meer nach Euro­pa oder wer­den seit der Über­fahrt ver­misst – vie­le hät­ten geret­tet wer­den kön­nen. Lei­der wur­den die in Aus­sicht gestell­te »staat­lich koor­di­nier­te und euro­pä­isch getra­ge­ne See­not­ret­tung im Mit­tel­meer« sowie die par­la­men­ta­ri­sche Kon­trol­le der euro­päi­schen Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex (Sei­te 112) nicht verwirklicht.

Einen Licht­blick gab es: So beschloss der Haus­halts­aus­schuss 2022 eine För­de­rung der zivi­len See­not­ret­tung über das Aus­wär­ti­ge Amt für die Jah­re 2023 bis 2026 mit jähr­lich zwei Mil­lio­nen Euro. In Anbe­tracht der hohen Kos­ten, die für die Ret­tungs­ak­tio­nen anfal­len, ist die Sum­me ver­gleichs­wei­se gering, den­noch ging von der För­de­rung ein kla­res Signal gegen die ansons­ten gän­gi­ge Kri­mi­na­li­sie­rung aus. Doch  Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz distan­zier­te sich  bereits im Okto­ber 2023 von der För­de­rung, vor­an­ge­gan­gen war laut Medi­en­be­rich­ten eine Beschwer­de der Post­fa­schis­tin Meloni.

»Des­halb set­zen wir uns für rechts­staat­li­che Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Dritt­staa­ten im Rah­men des Euro­pa- und Völ­ker­rechts ein. Wir wer­den hier­für prü­fen, ob die Fest­stel­lung des Schutz­sta­tus in Aus­nah­me­fäl­len unter Ach­tung der GFK und EMRK in Dritt­staa­ten mög­lich ist.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 112)

»Wir wol­len neue pra­xis­taug­li­che und part­ner­schaft­li­che Ver­ein­ba­run­gen mit wesent­li­chen Her­kunfts­län­dern unter Beach­tung men­schen­recht­li­cher Stan­dards schlie­ßen.« (Koali­ti­ons­ver­trag, Sei­te 112)

Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren inten­siv geprüft

Die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren ist schon lan­ge ein beson­ders umstrit­te­ner Vor­schlag. Im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel-Regie­rung wur­de trotz­dem ein Prüf­auf­trag auf­ge­nom­men: Geprüft wer­den soll, ob die Fest­stel­lung des Schutz­sta­tus in Aus­nah­me­fäl­len unter Ach­tung der GFK und EMRK in Dritt­staa­ten mög­lich ist. Die Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz trug der Ampel-Regie­rung im Novem­ber 2023 auf, die Prü­fung auszuweiten.

Die Bun­des­re­gie­rung hat den Prüf­auf­trag umge­setzt, aber bis jetzt nicht abge­schlos­sen. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) führ­te im ers­ten Halb­jahr 2024 Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­run­gen durch, um zu klä­ren, ob Deutsch­land Asyl­ver­fah­ren in Dritt­staa­ten aus­la­gern kann. Eine deut­li­che Mehr­heit der Expert*innen – dar­un­ter auch PRO ASYL – zeig­te sich kri­tisch und lehn­te die dis­ku­tier­ten Model­le ab. Die Expert*innen mach­ten deut­lich, dass eine Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes weder ziel­füh­rend noch rea­lis­tisch umsetz­bar ist, sowohl aus recht­li­chen als auch aus prak­ti­schen Gründen.

In der Pra­xis bestä­tig­te sich die Ein­schät­zung der ange­hör­ten Expert*innen gleich mehr­fach: Der UK-Ruan­da-Deal wur­de im Juli 2024 von der neu­en bri­ti­schen Regie­rung unter Pre­mier­mi­nis­ter Keir Star­mer end­gül­tig gestoppt, nach­dem er zuvor auf­grund recht­li­cher Hür­den lan­ge nicht in Gang gekom­men war. Damit fand unter dem Deal kei­ne ein­zi­ge Abschie­bung nach Ruan­da statt.

Und auch der Plan der ita­lie­ni­schen Regie­rung, extra­ter­ri­to­ria­le Asyl­ver­fah­ren in dem Nicht-EU-Staat Alba­ni­en durch­zu­füh­ren, schei­ter­te bis­her an ita­lie­ni­schen Gerich­ten: Bei allen drei Ver­su­chen muss­ten die nach Alba­ni­en über­stel­len Asyl­su­chen­den aus den Haft­zen­tren ent­las­sen und nach Ita­li­en gebracht werden.

In einem Sach­stands­be­richt fass­te das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um im Juni 2024 die Ergeb­nis­se der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­run­gen vor­läu­fig zusam­men. Die Ver­öf­fent­li­chung des BMI-Berichts mit einem abschlie­ßen­den Votum der Bun­des­re­gie­rung steht noch aus.

Migra­ti­ons­ab­kom­men als Teil der Rückführungsoffensive

Zen­tra­ler Bestand­teil der im Koali­ti­ons­ver­trag anvi­sier­ten Koope­ra­tio­nen mit Dritt­staa­ten ist die Erhö­hung der Anzahl von Abschie­bun­gen von abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den. Gleich­zei­tig sol­len zusätz­li­che lega­le Ein­rei­se­mög­lich­kei­ten geschaf­fen wer­den. Für bei­de Auf­ga­ben wur­de 2023 das Amt des Son­der­be­voll­mäch­tig­ten der Bun­des­re­gie­rung für Migra­ti­ons­ab­kom­men geschaf­fen, das beim BMI ange­sie­delt ist und mit Joa­chim Stamp (FDP) besetzt wurde.

Seit Stamps Amts­an­tritt im Febru­ar 2023 hat die Bun­des­re­gie­rung nach eige­nen Anga­ben meh­re­re Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Dritt­staa­ten abge­schlos­sen, unter ande­rem mit Geor­gi­en, Kenia, Usbe­ki­stan, Marok­ko und Kolum­bi­en. Seit März 2023 ist ein Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Indi­en in Kraft. Zusätz­lich füh­re man Gesprä­che mit Mol­dau, Kir­gi­si­stan, den Phil­ip­pi­nen, Gha­na und dem Irak »in Vor­be­rei­tung einer Migra­ti­ons­part­ner­schaft«. Ins­be­son­de­re der star­ke Fokus auf Abschie­bun­gen, die teil­wei­se eben nicht »unter Beach­tung men­schen­recht­li­cher Stan­dards« statt­fin­den, ist sehr kri­tisch zu beurteilen.