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Gewalt gegen Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze, 2015. Kurz darauf signalisierte Deutschland die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen, die Linie wich aber schnell der Abschottung. Foto: picture alliance / JOKER / Tomislav Georgiev / est&ost

Nachdem syrische Flüchtlinge jahrelang in den Erstaufnahmeländern im Stich gelassen wurden, kam es 2015 zu einer großen Fluchtbewegung nach Europa. Auf die Willkommenskultur folgten viele Restriktionen. Mit dem Auslaufen des Abschiebungsstopps wird jetzt die Annäherung an Assad geprobt.

Vor 10 Jah­ren, im März 2011, began­nen ers­te Pro­tes­te im Zuge des »Ara­bi­schen Früh­lings« in ver­schie­de­nen Städ­ten Syri­ens. Was mit der Hoff­nung auf mehr Frei­heit, Wür­de und Demo­kra­tie begann, wur­de durch die Reak­ti­on des Regimes zu einem blu­ti­gen Bür­ger­krieg und schließ­lich einem kom­ple­xen inter­na­tio­na­len Stell­ver­tre­ter­krieg. Die Bilanz nach 10 Jah­ren ist desas­trös: Laut dem UNHCR sind 5,6 Mil­lio­nen Men­schen aus Syri­en geflo­hen – pri­mär in die Nach­bar­län­der Liba­non, Tür­kei und Jor­da­ni­en -, wei­te­re 6,6 Mil­lio­nen Men­schen sind inner­halb Syri­ens ver­trie­ben. Unter Macht­ha­ber Baschar al-Assad wur­den unvor­stell­ba­re Kriegs­ver­bre­chen began­gen, die syri­schen Geheim­diens­te betrei­ben ein bru­ta­les Fol­ter­sys­tem. Min­des­tens 500.000 Men­schen star­ben durch den Krieg, 200.000 Men­schen wur­den inhaf­tiert, vie­le davon in Assads Gefäng­nis­sen gefol­tert, Zehn­tau­sen­de ermor­det (sie­he z.B. Zah­len vom Syri­an Obser­va­to­ry for Human Rights).

Zwar gab es gera­de für syri­sche Flücht­lin­ge zu Beginn viel Soli­da­ri­tät, doch wur­de gleich­zei­tig an der Abschot­tung und der Unter­bin­dung von Flucht gear­bei­tet. Maß­nah­men wie der EU-Tür­kei Deal ziel­ten expli­zit auf Syrer*innen ab. Wäh­rend für man­che euro­päi­sche Län­der wie Deutsch­land ein siche­rer Zufluchts­ort wur­de, ver­zwei­fel­ten ande­re an büro­kra­ti­schen Hür­den für den Fami­li­en­nach­zug.  Obwohl Assad wei­ter­hin an der Macht ist, wol­len Län­der wie Deutsch­land jetzt auch wie­der nach Syri­en abschie­ben und stre­ben hier­für sogar diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen mit dem Assad-Regime an.

Syrische Flüchtlinge in Nachbarländern im Stich gelassen

Im Jahr 2015 leb­ten vie­le syri­sche Flücht­lin­ge unter extrem schlech­ten Bedin­gun­gen in den Nach­bar­län­dern Syri­ens, wo sie immer mehr Restrik­tio­nen aus­ge­setzt waren und kaum noch Unter­stüt­zung erhiel­ten (sie­he hier­zu unse­re News zum Ver­sa­gen der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft). Eine rea­le Chan­ce auf eine siche­re Ein­rei­se per Flug­zeug dank Resett­le­ment oder einem Auf­nah­me­pro­gramm hat­ten die wenigsten.

In Deutsch­land war die Auf­nah­me aus Syri­en im Gegen­satz zu ande­ren Län­dern schon früh ein The­ma, auch weil es schon vor dem Bür­ger­krieg mit rund 40.000 syri­schen Men­schen eine statt­li­che Com­mu­ni­ty in Deutsch­land gab. Vie­le Syrer*innen waren ver­zwei­felt: Wie kön­nen sie ihre Ange­hö­ri­gen schüt­zen, auf deren Häu­ser gera­de die Bom­ben fal­len? Visa­an­trä­ge wur­den in der Regel mit der Begrün­dung abge­lehnt, es feh­le an der Rück­kehr­be­reit­schaft. PRO ASYL setz­te sich von Beginn an für eine groß­an­ge­leg­te Auf­nah­me ein. Im März 2013 beschloss die Bun­des­re­gie­rung ein ers­tes Huma­ni­tä­res Auf­nah­me­pro­gramm, dass bis 2015 auf 20.000 Per­so­nen auf­ge­stockt wurde.

Mit Aus­nah­me Bay­erns beschlos­sen ab 2013 die Bun­des­län­der soge­nann­te Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me, über die in Deutsch­land leben­de Syrer*innen engs­te Ange­hö­ri­ge nach Deutsch­land holen konn­ten, wenn sie sich ver­pflich­te­ten, für den Lebens­un­ter­halt auf­zu­kom­men. 14.000 Visa wur­den über die Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me bis zum Früh­ling 2015 erteilt – ein Trop­fen auf dem hei­ßen Stein ange­sichts von 4 Mil­lio­nen Men­schen, die zu dem Zeit­punkt bereits aus Syri­en geflo­hen waren (PRO ASYL Tätig­keits­be­rich­te 2012/2013, 2013/2014, 2014/2015).

Die pre­kä­re Lage in den Erst­zu­fluchts­län­dern sowie die zuneh­men­de Hoff­nungs­lo­sig­keit was die Ent­wick­lun­gen in Syri­en anging, führ­ten zu der gro­ßen Flucht­be­we­gung 2015 nach Europa.

Die pre­kä­re Lage in den Erst­zu­fluchts­län­dern und die kaum bestehen­de Chan­ce auf eine siche­re Ein­rei­se sowie die zuneh­men­de Hoff­nungs­lo­sig­keit was die Ent­wick­lun­gen in Syri­en anging, führ­ten zu der gro­ßen Flucht­be­we­gung 2015 nach Europa.

Lebensgefährliche Flucht nach Europa

Laut dem UNHCR kamen 2015 etwas über eine Mil­li­on Schutz­su­chen­de in die Euro­päi­sche Uni­on – wohl­ge­merkt einem Staa­ten­ver­bund mit 446 Mil­lio­nen Einwohner*innen – unge­fähr ein Drit­tel davon aus Syri­en. Die meis­ten ris­kier­ten mit über­füll­ten Schlauch­boo­ten die Über­fahrt von der Tür­kei über die Ägä­is zu den grie­chi­schen Inseln. 3.771 Men­schen star­ben laut UNHCR in dem Jahr bei dem Ver­such, nach Euro­pa zu gelan­gen. Das Foto des ertrun­ke­nen syri­schen Jun­gen Alan Kur­di, des­sen Kör­per an der tür­ki­schen Küs­te ange­schwemmt wur­de, bestürz­te Men­schen welt­weit. Zuvor hat­te die Fami­lie ver­geb­lich ver­sucht, Visa für ein Leben in Kana­da zu bekom­men, wo bereits eine Tan­te von Alan Kur­di lebte.

Das Asyl­sys­tem in Grie­chen­land war zu dem Zeit­punkt schon lan­ge nicht funk­ti­ons­fä­hig. Des­we­gen mach­ten sich die meis­ten auf die Bal­kan­rou­te, um wei­ter nach Mit­tel- und Nord­eu­ro­pa zu gelangen.

Auf der berüchtigten Balkanroute

Als ers­tes EU-Land kün­dig­te Ungarn im Juli 2015 an, kei­ne Flücht­lin­ge mehr ins Land las­sen zu wol­len und sei­ne Gren­ze zu Ser­bi­en mit Zäu­nen abzu­rie­geln. Auch die Zustän­de in Maze­do­ni­en und Ser­bi­en wur­den immer schlim­mer, tage­lang harr­ten die Men­schen an Bahn­hö­fen aus, schlu­gen sich zu Fuß bis zur nächs­ten Gren­ze durch, wur­den Opfer von Poli­zei­ge­walt und Über­fäl­len durch Ban­den. Direk­te Aus­wir­kun­gen auf die Flucht­rou­ten hat­te das zunächst nicht, Ende August begann Ungarn jedoch, mehr und mehr Flücht­lin­ge dar­an zu hin­dern, in Züge nach Öster­reich und Deutsch­land zu stei­gen. Erst als von dort signa­li­siert wur­de, die­se Men­schen auf­zu­neh­men, durf­ten sie wei­ter­rei­sen. Zu jenem Zeit­punkt wur­den in Deutsch­land auch Dub­lin-Ver­fah­ren für syri­sche Flücht­lin­ge aus­ge­setzt (PRO ASYL zur Bal­kan­rou­te, 2016).

Die Grenz­schlie­ßun­gen auf der Bal­kan­rou­te führ­ten zum Elend­sla­ger Ido­me­ni an der grie­chisch-maze­do­ni­schen Gren­ze, wo mehr als 13.000 Men­schen im Jahr 2016 in einer pro­vi­so­ri­schen Zelt­stadt im Schlamm hock­ten und auf eine mög­li­che Wei­ter­rei­se hoff­ten. »Wir ster­ben hier lang­sam«, sag­te Adam, ein jun­ger Mann aus Damas­kus, damals zu den grie­chi­schen Kol­le­gen von PRO ASYL (PRO ASYL zu Ido­me­ni, 2016).

Blaupause der Abschottung – der EU-Türkei Deal von 2016

Als Reak­ti­on auf die hohen Ankunfts­zah­len von Schutz­su­chen­den auf den grie­chi­schen Inseln und in Euro­pa ins­ge­samt, wur­de ab Ende des Jah­res 2015 unter der Feder­füh­rung von Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel inten­siv mit der Tür­kei ver­han­delt. Das Resul­tat die­ser Bemü­hun­gen war der EU-Tür­kei Deal, der am 18. März 2016 ver­kün­det wur­de. Die­se Erklä­rung sieht vor, dass alle Asyl­su­chen­den, die ab dem 20. März 2016 auf den grie­chi­schen Inseln ankom­men, als »unzu­läs­sig« abge­lehnt und in die Tür­kei zurück geführt wer­den sol­len. Im Gegen­zug sol­len die EU-Mit­glied­staa­ten für jede rück­ge­führ­te Per­son einen syri­schen Flücht­ling auf­neh­men. Außer­dem dür­fen die Asyl­su­chen­den auf­grund einer geo­gra­phi­schen Restrik­ti­on die Inseln nicht ver­las­sen – damit war die huma­ni­tä­re Dau­er­kri­se, deren Sym­bol das 2020 abge­brann­te Lager Moria wur­de, vorprogrammiert.

Syri­sche Flücht­lin­ge sit­zen damit auf den grie­chi­schen Inseln in der Fal­le: Sie kön­nen nicht zurück, wer­den aber auch nicht vor­an gelas­sen, da ihr Asyl­an­trag als »unzu­läs­sig« abge­lehnt wurde.

Die Ableh­nung als »unzu­läs­sig«, da die Tür­kei für sie ein »siche­rer Dritt­staat« sei, wird in der Pra­xis nur für syri­sche Asyl­su­chen­de ange­wen­det. Obwohl sie in der Tür­kei kei­nen vol­len Flücht­lings­sta­tus nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) bekom­men kön­nen, häu­fig am Rand der Gesell­schaft leben und es immer wie­der zu Abschie­bun­gen nach Syri­en kommt, wird die Behaup­tung, die Tür­kei sei für Syrer*innen sicher, von Grie­chen­land und der EU auf­recht erhal­ten (war­um die Tür­kei kein »siche­rer Dritt­staat« ist hat PRO ASYL hier dar­ge­legt). Syri­sche Flücht­lin­ge sit­zen damit auf den grie­chi­schen Inseln in der Fal­le: Sie kön­nen nicht zurück, wer­den aber auch nicht vor­an gelas­sen, da ihr Asyl­an­trag als »unzu­läs­sig« abge­lehnt wurde.

Die »Willkommenskultur« von 2015 in Deutschland

In Deutsch­land gab es 2015 eine beein­dru­cken­de Soli­da­ri­tät in den Dör­fern, Städ­ten und Kom­mu­nen mit den ankom­men­den Men­schen. Vie­le Men­schen enga­gier­ten sich spon­tan vor Ort und ver­such­ten zu hel­fen, wo es ging. Mer­kels eigent­lich simp­ler Satz »Wir schaf­fen das« vom 31. August 2015 ging in die Geschich­te ein. Auf euro­päi­scher Ebe­ne arbei­tet die Bun­des­re­gie­rung aber schon an der fol­gen­den Abschottung.

Syrer*innen stell­ten die größ­te Flücht­lings­grup­pe dar, sowohl 2015 als auch 2016 mach­ten sie je über ein Drit­tel aller Asyl­su­chen­den aus. Da die Schutz­be­dürf­tig­keit bei ihnen auf der Hand lag und um das über­las­te­te Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) zu ent­las­ten, wur­den die Asyl­ver­fah­ren syri­scher, eri­tre­ischer und reli­giö­ser Min­der­hei­ten aus dem Irak in soge­nann­ten schrift­li­chen Ver­fah­ren ent­schie­den und die Betrof­fe­nen beka­men eine Flücht­lings­an­er­ken­nung. Im Gegen­satz zu vie­len andern wur­den ihre Ver­fah­ren damit rela­tiv schnell ent­schie­den, was für sie zumin­dest schnel­le Klar­heit, die Mög­lich­keit zum Fami­li­en­nach­zug und zumin­dest theo­re­tisch auch ande­re Ver­bes­se­run­gen wie bei der Unter­brin­gung bedeutete.

Wäh­rend Syrer*innen grund­sätz­lich als schutz­be­dürf­tig in Deutsch­land gese­hen und ent­spre­chend behan­delt wur­den, wur­den ande­re Asyl­su­chen­de als »Wirt­schafts­flücht­lin­ge« stig­ma­ti­siert. Für sie wur­den mit dem Asyl­pa­ket I noch im Herbst 2015 Ver­schlech­te­run­gen ein­ge­führt, wie die Ein­stu­fung von Alba­ni­en, Koso­vo und Mon­te­ne­gro als »siche­re Herkunftsstaaten«.

Bittere Realität: Aussetzung des Familiennachzugs ab 2016

Im März 2016 kam es mit dem Asyl­pa­ket II zu einer Geset­zes­ver­schär­fun­gen, die für eine Viel­zahl syri­scher Geflüch­te­ter dra­ma­ti­sche Kon­se­quen­zen hat­te: Der Fami­li­en­nach­zug für soge­nann­te »sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te« wur­de für zwei Jah­re voll­stän­dig aus­ge­setzt. Die Aus­set­zung wur­de auch damit gerecht­fer­tigt, dass die Aus­set­zung syri­sche Flücht­lin­ge gar nicht betref­fen wür­de, da die­se vol­len Flücht­lings­schutz erhal­ten wür­den – doch schon damals war abseh­bar, dass sich genau dies ändern wür­de, da das BAMF mitt­ler­wei­le auf regu­lä­re Asyl­ver­fah­ren umge­stellt hatte.

Restriktive Praxis beim BAMF drückt Anerkennungsquote

Und so kam es auch: 2015 erhiel­ten noch 99,7% aller Syrer*innen den vol­len Flücht­lings­schutz, im Jahr 2016 beka­men nur noch 58% der syri­schen Antragsteller*innen Schutz nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) bzw. dem Grund­ge­setz, 42% erhiel­ten sub­si­diä­ren Schutz. Im Jahr 2017 wur­den 38% der syri­schen Antragsteller*innen nach der GFK bzw. dem Grund­ge­setz aner­kannt, dage­gen erhielt mit 61% die Mehr­heit den sub­si­diä­ren Schutz.

Rück­bli­ckend hat der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) im Novem­ber 2020 fest­ge­stellt, dass vie­le die­ser Ent­schei­dun­gen zu restrik­tiv waren. Denn eine gro­ße Grup­pe der­je­ni­gen, die nur noch sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten haben, waren syri­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer. In sei­ner Ent­schei­dung EZ gegen Deutsch­land hielt der EuGH fest, dass eine star­ke Ver­mu­tung besteht, dass der Mehr­heit der syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer eine Flücht­lings­an­er­ken­nung zuste­hen wür­de – ent­ge­gen der Ent­schei­dungs­pra­xis des BAMF und vie­ler deut­scher Verwaltungsgerichte.

Hoffnung auf Familiennachzug wird enttäuscht, Kontingentlösung von 2018

Zwei Jah­re lang wur­de Tau­sen­den Men­schen ver­wehrt, ihre Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen sicher und legal nach Deutsch­land zu brin­gen. In vie­len Fäl­len muss­ten die Ehepartner*innen und Kin­der im Her­kunfts­land, zum Teil im Bür­ger­krieg, oder in Flücht­lings­la­gern in Nach­bar­län­dern aus­har­ren. Oder sie mach­ten sich selbst auf den lebens­ge­fähr­li­chen Weg nach Euro­pa, blie­ben in den Elend­sla­gern auf den grie­chi­schen Inseln hän­gen. Alle Hoff­nung galt dem 18. März 2018, ab dem die Rege­lung aus­lau­fen und ihr Recht auf Fami­li­en­nach­zug wie­der­her­ge­stellt sein sollte.

Seit Jah­ren wird Tau­sen­den Men­schen ver­wehrt, ihre Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen sicher und legal nach Deutsch­land zu bringen.

Doch statt­des­sen einig­ten sich CDU/CSU und SPD nach einem öffent­li­chen Streit in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dar­auf, den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten dau­er­haft ein­zu­schrän­ken. Mit dem Fami­li­en­nach­zugs­neu­re­ge­lungs­ge­setz, das am 1. August 2018 in Kraft trat, wur­de der § 36a Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG) ein­ge­führt, der ein Kon­tin­gent von maxi­mal 1.000 Visa pro Monat für den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten vor­sieht. Einen grund­sätz­li­chen Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug schließt das Gesetz nun aus­drück­lich aus. Der Nach­zug wird viel­mehr nur aus huma­ni­tä­ren Grün­den im Ein­zel­fall gewährt. Dass die­se Rege­lung ver­fas­sungs- und men­schen­rechts­wid­rig ist, haben PRO ASYL und JUMEN in einem Gut­ach­ten dargelegt.

Vie­le Syrer*innen war­ten des­we­gen wei­ter­hin dar­auf, mit ihren Ange­hö­ri­gen in Deutsch­land ver­eint zu werden.

2021: Abschiebungen um jeden Preis?

10 Jah­re nach Beginn des Bür­ger­krie­ges und etwas über fünf Jah­re nach der gro­ßen Flucht­be­we­gung wol­len vie­le euro­päi­sche Län­der anschei­nend das The­ma syri­sche Flücht­lin­ge für sich abha­ken. Der Bür­ger­krieg sei wei­test­ge­hend vor­bei, die Sicher­heits­la­ge vor Ort bes­ser, so heißt es in immer mehr Haupt­städ­ten. Das lässt außer Acht, dass mit Assad wei­ter­hin der glei­che Dik­ta­tor an der Macht ist, der Men­schen will­kür­lich inhaf­tie­ren und fol­tern lässt. Eine siche­re Rück­kehr kann nie­man­dem garan­tiert wer­den. Auch ist die huma­ni­tä­re Lage in Syri­en sehr schlecht, mehr als 90% der Bevöl­ke­rung leben nach Schät­zun­gen unter der Armuts­gren­ze, mehr als zwölf Mil­lio­nen Men­schen hät­ten kei­nen regel­mä­ßi­gen Zugang zu aus­rei­chend Nah­rung. Abschie­bun­gen nach Syri­en sind völ­ker­rechts­wid­rig, sie ver­sto­ßen gegen das Ver­bot von Fol­ter und ande­rer unmensch­li­cher Behand­lung (Arti­kel 3 der Euro­päi­schen Menschenrechtskonvention).

Doch in Deutsch­land ist der bis­her gel­ten­de Abschie­bungs­stopp nach Syri­en zum Jah­res­en­de 2020 aus­ge­lau­fen, zumin­dest in der Theo­rie sind Abschie­bun­gen wie­der mög­lich. Auch wenn dies die meis­ten Syrer*innen in Deutsch­land nicht betrifft, da sie einen siche­ren Auf­ent­halts­sta­tus haben, so schürt es Angst in der Com­mu­ni­ty und sen­det ein fata­les Signal der Nor­ma­li­sie­rung des Assad-Regimes. Laut Recher­chen sol­len nun auch wie­der diplo­ma­ti­sche Kon­tak­te zum Assad-Regime auf­ge­nom­men wer­den, um Abschie­bun­gen zu ermög­li­chen. Ers­te Schrit­te, mit denen Kriegs­ver­bre­cher Assad wie­der salon­fä­hig gemacht wird.

Däne­mark geht der­weil noch einen Schritt wei­ter. Laut Medi­en­be­rich­ten wur­den dort 94 Syrer*innen die Auf­ent­halts­er­laub­nis ent­zo­gen oder nicht ver­län­gert, da Damas­kus sicher sei und sie zurück­keh­ren könn­ten. 59 Syrer*innen, dar­un­ter auch 10 Min­der­jäh­ri­ge, wur­den bereits in soge­nann­te Aus­rei­se­zen­tren gebracht. Die däni­sche Pra­xis ist ein gefähr­li­cher Prä­ze­denz­fall, wie auch Human Rights Watch kommentiert.

Großer Kontrast bei Lage von syrischen Flüchtlingen heute in Europa

Die Lage von Men­schen, die inner­halb der letz­ten 10 Jah­re aus Syri­en nach Euro­pa geflüch­tet sind, ist natür­lich sehr unter­schied­lich. Bei vie­len passt das Label »Flücht­ling« gar nicht mehr, sie sind in ihrem Zufluchts­land gut ange­kom­men, stu­die­ren oder arbei­ten. Vie­le Syrer*innen, die 2015 nach Deutsch­land gekom­men sind, haben die Aus­sicht auf eine Nie­der­las­sungs­er­laub­nis oder sogar schon auf eine Ein­bür­ge­rung.

Vie­le Syrer*innen, die 2015 nach Deutsch­land gekom­men sind, haben die Aus­sicht auf eine Nie­der­las­sungs­er­laub­nis oder sogar schon auf eine Einbürgerung.

Doch für man­che ist kein Traum von Euro­pa in Erfül­lung gegan­gen. Im kras­sen Gegen­satz zur einem siche­ren Auf­ent­halt sit­zen Anfang März 2021 noch 2.640 Syrer*innen im Elend der grie­chi­schen Inseln fest. Doch auch bei Aner­ken­nung lebt es sich für Flücht­lin­ge in Grie­chen­land schwie­rig. Da es kaum staat­li­che Unter­stüt­zung gibt, droht ihnen die Obdach­lo­sig­keit und Ver­elen­dung. Man­che zie­hen des­we­gen wei­ter in ande­re EU-Län­der wie nach Deutsch­land. Hier droht ihnen dann aber die Abschie­bung zurück nach Grie­chen­land – ein Ankom­men wird unmög­lich gemacht. Obwohl das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len im Janu­ar die­ses Jah­res fest­stell­te, dass aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te nicht nach Grie­chen­land zurück­ge­schickt wer­den dür­fen, hat die Bun­des­re­gie­rung ihren Kurs bis­lang nicht geändert.

(wj)