07.11.2013

An der tür­kisch-grie­chi­schen Land- und See­gren­ze wer­den Flücht­lin­ge sys­te­ma­tisch völ­ker­rechts­wid­rig zurück­ge­wie­sen. Das ist das zen­tra­le Ergeb­nis einer Recher­che, die PRO ASYL vom Okto­ber 2012 bis Sep­tem­ber 2013 in Grie­chen­land, der Tür­kei und Deutsch­land durch­führ­te, und deren Ergeb­nis­se heu­te im Bericht „Pushed Back“ ver­öf­fent­licht wer­den. Push Backs fin­den von grie­chi­schen Gewäs­sern, von grie­chi­schen Inseln und von der Land­gren­ze statt. Die Mehr­heit der Opfer sind syri­sche Flücht­lin­ge – dar­un­ter auch beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen wie Kin­der, Babies und Schwerst­kran­ke – die Euro­pa errei­chen wol­len, um inter­na­tio­na­len Schutz zu suchen und zu ihren Fami­li­en in Län­dern wie Deutsch­land, Schwe­den oder Groß­bri­tan­ni­en zu gelan­gen. Wäh­rend die EU öffent­lich ihr Enga­ge­ment für die syri­schen Flücht­lin­ge beteu­ert, wer­den deren grund­le­gen­de Men­schen­rech­te an euro­päi­schen Gren­zen ver­letzt. Allein nach den Augen­zeu­gen­be­rich­ten der inter­view­ten Per­so­nen wur­den min­des­tens 2.000 Schutz­su­chen­de an grie­chisch-tür­ki­schen Land- und See­gren­zen zurückgewiesen.

Der Bericht von PRO ASYL klagt die grie­chi­sche Regie­rung, die Grenz­po­li­zei und die Küs­ten­wa­che auf­grund die­ser Prak­ti­ken an und wirft die Fra­ge nach einer wei­ter­ge­hen­den euro­päi­schen Kom­pli­zen­schaft auf. Das gesam­te grie­chi­sche Asyl- und Migra­ti­ons­sys­tem basiert auf einer erheb­li­chen Unter­stüt­zung und Finan­zie­rung durch die EU. Auch Fron­tex ist seit Jah­ren in Grie­chen­land im Ein­satz – den­noch schwei­gen die Ent­schei­dungs­trä­ger in Ber­lin, Wien und im rest­li­chen Euro­pa über die Menschenrechtsverletzungen.

Tote in der Ägä­is – Kon­se­quen­zen der Schlie­ßung der Landgrenze

Die Ver­schie­bung der Flucht­rou­ten von der Evros Regi­on zurück in die Ägä­is als Reak­ti­on auf die Schlie­ßung der Land­gren­ze im Som­mer 2012 führ­te viel­fach zum Tod von Flücht­lin­gen. Seit August 2012 haben 149 Per­so­nen, haupt­säch­lich syri­sche und afgha­ni­sche Flücht­lin­ge ihr Leben in die­sen Gewäs­sern verloren.

Die Bru­ta­li­tät und das Aus­maß der im Bericht doku­men­tier­ten Ver­let­zun­gen sind schockierend

In den Inter­views wer­den Beam­te mas­kier­ter Spe­zi­al­ein­hei­ten beschul­digt, Flücht­lin­ge nach ihrer Fest­nah­me will­kür­lich inhaf­tiert zu haben, ohne jeg­li­che Regis­trie­rung auf grie­chi­schem Ter­ri­to­ri­um, und sie anschlie­ßend völ­ker­rechts­wid­rig in die Tür­kei abge­scho­ben zu haben. Spe­zi­al­ein­hei­ten der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che über­lie­ßen Flücht­lin­ge in tür­ki­schen Ter­ri­to­ri­al­ge­wäs­sern sich selbst, ohne auf ihre Sicher­heit zu ach­ten. Die meis­ten Befrag­ten berich­te­ten, miss­han­delt wor­den zu sein. In den Fäl­len, in denen Flücht­lin­ge von der Insel Farm­a­ko­ni­si zurück­ge­wie­sen wur­den, grenz­ten die Miss­hand­lun­gen neun männ­li­cher syri­scher Flücht­lin­ge an Folter.

Fron­tex muss die Ope­ra­tio­nen in Grie­chen­land beenden

Die Ergeb­nis­se des vor­lie­gen­den Berich­tes stel­len außer­dem das Enga­ge­ment der Euro­päi­schen Uni­on und ins­be­son­de­re der Fron­tex-Ope­ra­ti­on „Posei­don Land and Sea“ in Fra­ge. Abge­se­hen von weni­gen Aus­nah­men fan­den alle doku­men­tier­ten Push Backs im Ope­ra­ti­ons­ge­biet von Fron­tex statt. PRO ASYL stellt daher die Fra­ge nach der Betei­li­gung von Fron­tex an den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Auf­grund der Häu­fig­keit und Schwe­re der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Grie­chen­land, muss Fron­tex sei­ne Ope­ra­tio­nen in dem Land been­den. Dies ist in der Fron­tex-Ver­ord­nung von 2011 vor­ge­se­hen. Zusätz­lich muss jeg­li­che euro­päi­sche Finan­zie­rung von Flücht­lings­ab­schre­ckung in Grie­chen­land umfäng­lich eva­lu­iert werden.

Die kom­men­de Ratspräsidentschaft

Am 1. Janu­ar 2014 wird Grie­chen­land die Prä­si­dent­schaft des Euro­päi­schen Rates über­neh­men. PRO ASYL ruft die grie­chi­sche Regie­rung dazu auf, ihr berech­tig­tes Ein­tre­ten für mehr Soli­da­ri­tät bei der Flücht­lings­auf­nah­me durch die Beach­tung von Flücht­lings- und Men­schen­rech­ten zu unter­mau­ern. Die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Prak­ti­ken der Zurück­wei­sung und Miss­hand­lun­gen von Schutz­su­chen­den müs­sen unver­züg­lich been­det werden.

PRO ASYL ruft alle EU-Mit­glieds­staa­ten dazu auf, Visa­be­stim­mun­gen zu lockern, die Defi­ni­ti­on von Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu erwei­tern, und Visa aus huma­ni­tä­ren Grün­den für Flücht­lin­ge – vor allem für die­je­ni­gen aus Syri­en – im tür­ki­schen Tran­sit zu ertei­len. Dies wür­de einen siche­ren und lega­len Zugang zum Ter­ri­to­ri­um der EU ermöglichen.

Flücht­lin­ge und Asyl­su­chen­de, die in Grie­chen­land fest­sit­zen, brau­chen ein Recht auf eine lega­le Wei­ter­rei­se in ande­re euro­päi­sche Staa­ten, wo ihre Fami­li­en leben und wo sie eine Chan­ce haben, Schutz zu erhalten.

Die­ser Bericht doku­men­tiert die Ergeb­nis­se ver­schie­de­ner Nach­for­schun­gen, die von der Stif­tung und dem För­der­ver­ein PRO ASYL in Grie­chen­land, in der Tür­kei und in Deutsch­land durch­ge­führt wor­den sind. PRO ASYL ist allein ver­ant­wort­lich für die Inhal­te des heu­te ver­öf­fent­lich­ten Berichts „Pushed Back“.

Kurz­be­richt: Pushed Back – Sys­te­ma­ti­sche Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den grie­chi­schen See- und Landgrenzen

Bericht (engl.) Pushed Back – sys­te­ma­tic human rights vio­la­ti­ons against refu­gees in the aege­an sea and the greek-tur­ki­sh land border

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