13.12.2020

PRO ASYL: Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sind Abschie­bun­gen in lebens­ge­fähr­li­che Zustände 

Nach neun­mo­na­ti­ger, pan­de­mie­be­ding­ter Pau­se soll am kom­men­den Mitt­woch, 16.12.2020 erst­mals wie­der ein Sam­mel­ab­schie­bungs­flug nach Kabul star­ten. Vor vier Jah­ren, am 14.12.2016, fand die ers­te Sam­mel­ab­schie­bung nach Afgha­ni­stan statt – ein denk­wür­di­ger Tabu­bruch. PRO ASYL pro­tes­tier­te von Anfang an gegen die Abschie­bun­gen in das Kriegs- und Kri­sen­ge­biet und tut dies seit­dem bei den monat­lich star­ten­den Flie­gern. Der kom­men­de Flug wäre der ers­te seit der letz­ten Abschie­bung am 11. März und der anschlie­ßen­den mehr­mo­na­ti­gen Aus­set­zung bedingt durch die Covid-19-Pandemie.

»Dass trotz Pan­de­mie und kata­stro­pha­ler Sicher­heits­la­ge nun wie­der nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den soll, ist unver­ant­wort­lich. Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sind Abschie­bun­gen in lebens­ge­fähr­li­che Zustän­de«, kri­ti­siert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Zudem steht dem Land eine erneu­te Tali­ban-Herr­schaft bevor, Ver­fol­gung und Kon­flik­te wer­den eher wei­ter eskalieren.

Obwohl Afgha­ni­stan schwer von der Covid-19-Pan­de­mie betrof­fen ist, plan­te die Bun­des­re­gie­rung bereits im Novem­ber einen Abschie­bungs­flug, der aus Beden­ken wegen der Pan­de­mie sei­tens der afgha­ni­schen Regie­rung kurz­fris­tig abge­sagt wur­de. Der für den 16. Dezem­ber geplan­te Flug soll vom Flug­ha­fen Leipzig/Halle star­ten. Afgha­ni­stan-Exper­te Tho­mas Rut­tig geht davon aus, dass die jetzt trotz fort­be­stehen­der Coro­na-Pan­de­mie wie­der bestehen­de Bereit­schaft der afgha­ni­schen Regie­rung zur Ent­ge­gen­nah­me von Abschie­bungs­char­tern mit dem Abschluss der Geber­kon­fe­renz in Genf am 23. und 24. Novem­ber zusam­men­hängt. Dort wur­de Afgha­ni­stan die Wei­ter­fi­nan­zie­rung der Ent­wick­lungs­hil­fe bis 2024 zuge­sagt und in der Abschluss­kom­mu­ni­qué die »Bekämp­fung irre­gu­lä­rer Migra­ti­on« beschlossen.

Hin­ter­grund zu Abschie­bun­gen nach Afghanistan

Vor­an­ge­gan­gen war der ers­ten Sam­mel­ab­schie­bung am 14.12.2016, mit der 34 Men­schen abge­scho­ben wur­den, die Auf­nah­me von Ver­hand­lun­gen de Mai­ziè­res mit der afgha­ni­schen Regie­rung im Febru­ar 2016, die im Okto­ber in einem bila­te­ra­len Rück­füh­rungs­ab­kom­men mün­de­ten. Eben­falls im Okto­ber 2016 kam es auch zu einem Rück­füh­rungs­ab­kom­men zwi­schen der EU und Afgha­ni­stan. Bereits im März 2016 lagen hier­zu pas­send gehei­me Plä­ne der EU zur Abschie­bung von 80.0000 Afgha­nen vor. Zeit­gleich zu die­sen euro­päi­schen Plä­nen wur­de hier­zu­lan­de nach Recher­chen der ZEIT sei­tens des Innen­mi­nis­te­ri­ums Druck auf das ihm unter­stell­te Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge aus­ge­übt, die Schutz­quo­te nach unten zu drü­cken. Lag die­se noch im Jahr 2015 bei 78 %, sank sie in Fol­ge des Drucks sei­tens des Dienst­herrn des Bun­des­am­tes im ers­ten Halb­jahr 2016 auf 52,9 %. Dies, obwohl – wie dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um sehr wohl bekannt war – zur glei­chen Zeit die höchs­te Zahl zivi­ler Opfer seit 2009 gemel­det wor­den war.

Immer wie­der wur­de von der Bun­des­re­gie­rung behaup­tet, es gebe ander­wei­tig inlän­di­schen Schutz in Groß­städ­ten. Ein aktu­el­ler Bericht des UNHCR aus Dezem­ber 2019 kommt zum Ergeb­nis, dass die afgha­ni­sche Haupt­stadt nicht als sicher betrach­tet wer­den kann: Auf­grund der Sicher­heits- und Men­schen­rechts­la­ge sowie der dra­ma­ti­schen huma­ni­tä­ren Situa­ti­on stel­le Kabul laut UNHCR kei­ne soge­nann­te »inlän­di­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve« dar. Genau dar­auf ver­weist das BAMF aber immer wie­der in sei­nen Ableh­nungs­be­schei­den, und genau dort lan­den die Charterflüge.

Seit­her wur­den regel­mä­ßig Sam­mel­ab­schie­bun­gen in das seit Jahr­zehn­ten von Krieg und Bür­ger­krieg gezeich­ne­te Land vor­ge­nom­men. Ins­ge­samt sind seit Dezem­ber 2016 bis ein­schließ­lich März die­ses Jah­res 907 Afgha­nen mit­tels Sam­mel­ab­schie­be­flü­gen nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wor­den. Die Schutz­quo­te für die Aner­ken­nung afgha­ni­scher Schutz­su­chen­der sank seit 2016 par­al­lel dazu kon­ti­nu­ier­lich wei­ter und liegt der­zeit (1. Halb­jahr 2020) bei nur noch 40,6 %. Erst kürz­lich wur­de bekannt, wie vie­le rechts­wid­ri­ge Ableh­nun­gen Afghan*innen in Asyl­ver­fah­ren erhal­ten. Auf eine par­la­men­ta­ri­sche Anfra­ge der Lin­ken teil­te die Bun­des­re­gie­rung mit, dass Ver­wal­tungs­ge­rich­te in den ers­ten neun Mona­ten die­ses Jah­res 5.644 ableh­nen­de Ent­schei­dun­gen des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge auf­ge­ho­ben haben und den Betrof­fe­nen Schutz gewährt haben. 59 % der gericht­lich inhalt­lich über­prüf­ten BAMF-Beschei­de erwie­sen sich damit als rechts­wid­rig.

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