19.09.2016
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Die PRO ASYL - Hand 2016 geht an den eritreischen Priester Father Mussie Zerai, der seit vielen Jahren Flüchtlingen in Seenot hilft. Foto: Andelka Krizanovic

Der katholische Priester Father Mussie Zerai hilft seit über zehn Jahren Flüchtlingen in Seenot. Seine Telefonnummer wird in die Wände von libyschen Gefängnissen geritzt – tausendfach wurde sie bereits angerufen, von verzweifelten Menschen in Lebensgefahr. Am Samstag hat Zerai für sein Engagement nun den Menschenrechtspreis von PRO ASYL erhalten.

Selbst als Jugend­li­cher aus Eri­trea nach Ita­li­en geflo­hen, kam Mus­sie Zerai 2003 in Kon­takt mit Lands­leu­ten, die auf dem Weg nach Euro­pa waren und in einem liby­schen Gefäng­nis fest­sa­ßen. Er hin­ter­ließ ihnen sei­ne Han­dy­num­mer, seit­dem ver­brei­tet sie sich unter Flüchtlingen.

Unzäh­li­ge Male hat Father Mus­sie Zerai inzwi­schen die Koor­di­na­ten eines Boo­tes auf­ge­schrie­ben und an die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che wei­ter­ge­ge­ben, um die Ret­tung in die Wege zu lei­ten. Tau­sen­de Men­schen haben ihm ihr Leben zu verdanken.

»Mus­sie Zerai ist ein Lebens­ret­ter, ein Vor­kämp­fer für Mit­mensch­lich­keit und Gerechtigkeit.«

Maxi­mi­li­an Popp, Journalist

Zusätz­lich hat er in Ita­li­en mit der »Agen­zia Habes­hia« auch eine Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on gegrün­det. Wenn ein Schiff nicht geret­tet wer­den konn­te, bleibt er wei­ter­hin aktiv und geht mit sei­ner Orga­ni­sa­ti­on in die Öffent­lich­keit, um Druck auf die Ver­ant­wort­li­chen auf­zu­bau­en. »Ich habe gemerkt, dass ich nicht nur die klei­nen Feu­er löschen kann, son­dern dass ich den gan­zen Brand löschen muss«, sag­te Zerai in einem Inter­view als Begrün­dung, über die rei­ne Not­fall­hil­fe hin­aus poli­tisch aktiv zu werden.

»Ich möch­te mei­ne Stim­me für die Men­schen erhe­ben, die kei­ne Stim­me haben.«

Mus­sie Zerai

Die PRO ASYL – Hand: Der Menschenrechtspreis der Stiftung PRO ASYL

Für sein Enga­ge­ment erhielt Mus­sie Zerai nun den Men­schen­rechts­preis der Stif­tung PRO ASYL, die PRO ASYL – Hand. Seit 2006 ver­leiht die Stif­tung PRO ASYL die­sen, mit 5.000 EUR dotier­ten, Preis. Aus­ge­zeich­net wer­den Per­so­nen, die sich in her­aus­ra­gen­der Wei­se für die Ach­tung der Men­schen­rech­te und den Schutz von Flücht­lin­gen einsetzen.

»Mus­sie Zerais her­aus­ra­gen­des Enga­ge­ment geht weit über huma­ni­tä­re Ein­zel­hil­fe hin­aus. Jeder fehl­ge­schla­ge­ne Ret­tungs­ver­such ist für ihn Anlass, öffent­lich die Stim­me zu erhe­ben und Poli­ti­ker in Euro­pa an ihre Ver­pflich­tung zum Flücht­lings­schutz zu erinnern.«

Andre­as Lipsch, Vor­sit­zen­der von PRO ASYL
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Father Mus­sie Zerai erhält die PRO ASYL – Hand 2016 von Andre­as Lipsch (Vor­sit­zen­der der Stif­tung PRO ASYL). Foto: Andel­ka Krizanovic

Bei der dies­jäh­ri­gen Preis­ver­lei­hung am Sams­tag, den 17.09.2016, in Frank­furt am Main ging es aber nicht nur um die Ver­diens­te des Preis­trä­gers, son­dern auch um die aktu­el­le Situation.

Kritik an der europäischen Politik

Wäh­rend Mus­sie Zerai die Not­ru­fe ver­zwei­fel­ter Flücht­lin­ge ent­ge­gen­nimmt, wird in Brüs­sel und Straß­burg end­los dar­über ver­han­delt, wie man die Men­schen am effek­tivs­ten an der Flucht über das Mit­tel­meer hin­dern könne.

»Euro­pa zahlt afri­ka­ni­schen Des­po­ten Geld, damit sie die schmut­zi­ge Arbeit für die EU verrichten.«

Mus­sie Zerai

Mus­sie Zerai ging in sei­ner Dan­kes­re­de dar­auf ein und kri­ti­sier­te, dass  die Euro­päi­sche Uni­on nach dem Vor­bild des EU-Tür­kei-Deals wei­te­re Part­ner­schaf­ten, unter ande­rem mit Län­dern wie Sudan oder Eri­trea, pla­ne. Euro­pa zah­le dabei Geld an afri­ka­ni­sche Des­po­ten, damit sie die schmut­zi­ge Arbeit verrichteten.

Ein­dring­lich warnt Zerai vor einer Zer­stö­rung des euro­päi­schen Traums, eine Oase für Men­schen­rech­te und sozia­le Gerech­tig­keit zu sein. Auch des­halb ist sein uner­müd­li­cher Ein­satz so wich­tig, denn er erin­nert die ver­ant­wort­li­chen Politiker*innen fort­wäh­rend an ihre men­schen­recht­li­chen Verpflichtungen.

»Das Mas­sen­ster­ben der Flücht­lin­ge an Euro­pas Außen­gren­zen ist kein Unglück, son­dern das direk­te Ergeb­nis euro­päi­scher Politik«

Maxi­mi­li­an Popp, Journalist

Auch Lau­da­tor Maxi­mi­li­an Popp, der das Enga­ge­ment von Mus­sie Zerai wür­dig­te, ging auf die­se Poli­tik ein: »Das Mas­sen­ster­ben der Flücht­lin­ge an Euro­pas Außen­gren­zen ist kein Unglück, son­dern das direk­te Ergeb­nis euro­päi­scher Poli­tik. Das Grund­ge­setz und die euro­päi­sche Grund­rechts­char­ta ver­spre­chen Men­schen, die vor Krieg oder Ver­fol­gung flie­hen, Schutz. Doch die EU-Mit­glied­staa­ten tor­pe­die­ren die­ses Recht seit Jah­ren. Wer in Euro­pa Asyl bean­tra­gen will, muss zunächst euro­päi­sches Ter­ri­to­ri­um errei­chen. Genau das aber ist durch die euro­päi­sche Abschot­tungs­po­li­tik bei­na­he unmög­lich geworden.«

Mussie Zerai: Vorbild für andere

Popp rief alle Bürger*innen, denen etwas an einer offe­nen, soli­da­ri­schen Gesell­schaft liegt, dazu auf, dem Bei­spiel Mus­sie Zerais zu fol­gen und für mehr Mensch­lich­keit zu kämp­fen. Eini­ge haben das schon getan:

Maß­geb­lich inspi­riert von sei­nem Vor­bild, haben Aktivist*innen des Moni­to­ring-Pro­jekts »Watch the Med« Ende 2014 eine wei­te­re Not­ruf­num­mer für Flücht­lin­ge in See­not, das »Alarm Pho­ne« ein­ge­rich­tet. Wei­ter­hin bleibt aber auch der katho­li­sche Pries­ter rund um die Uhr erreich­bar für Hilferufe.