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Noch vor der Sommerpause will die Bundesregierung die Asylrechtsverschärfungen durchs Parlament bringen. Foto: Bastian Bochinski

Am Montag (3. Juni) finden im Bundestag gleich fünf Anhörungen in zwei Ausschüssen zu – größtenteils – Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht statt. Es steht zu befürchten, dass diese Gesetze im Eiltempo durch den Bundestag gebracht werden. Der aktuelle Stand der Gesetzesvorhaben.

Bei den zeit­gleich ver­han­del­ten Gesetz­ent­wür­fen geht es um das das Gesetz über Dul­dung bei Aus­bil­dung und Beschäf­ti­gung, das Zwei­te Hau-ab-Gesetz (vom BMI auch »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« genannt), das Fach­kräf­te­ein­wan­de­rungs­ge­setz, das Gesetz zur Ent­fris­tung des Inte­gra­ti­ons­ge­set­zes, das Drit­te Gesetz zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes und das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz.

Das FORUM MENSCHENRECHTE, ein Netz­werk deut­scher Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, zeigt in einer Über­sicht über die aktu­el­len Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren, dass die geplan­ten Rege­lun­gen in ihrer Gesamt­wir­kung die Situa­ti­on von Asyl­su­chen­den, gedul­de­ten Men­schen und aner­kann­ten Flücht­lin­gen in Deutsch­land stark ver­schlech­tern wür­den. Die Vor­schlä­ge erschwe­ren einer Viel­zahl an Men­schen Blei­be­rech­te und bau­en sys­te­ma­tisch die Rech­te geflüch­te­ter Men­schen ab.

Offener Brief an die Bundestags-Abgeordneten

22 Anwalts- und Rich­ter­ver­ei­ni­gun­gen, Kinderrechts‑, Wohl­fahrts- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, dar­un­ter PRO ASYL, haben sich des­we­gen in einem offe­nen Brief an die Abge­ord­ne­ten des Bun­des­tags gewen­det. Sie pro­tes­tie­ren ins­be­son­de­re gegen das Zwei­te Hau-ab-Gesetz und for­dern den Bun­des­tag dazu auf, gegen das Gesetz zu stim­men. Auch die Men­schen­rechts­kom­mis­sa­rin des Euro­pa­ra­tes Dun­ja Mija­to­vić hat jüngst schwe­re Kri­tik an dem Gesetz geübt, vor allem an der Bedro­hung der Zivil­ge­sell­schaft durch die Ein­stu­fung des Ablaufs einer Abschie­bung als »Dienst­ge­heim­nis«. PRO ASYL hat die Stel­lung­nah­me zum Zwei­ten Hau-ab-Gesetz aktua­li­siert und zur Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung eingereicht.

Verschlechterung statt Verbesserung bei der Ausbildungsduldung 

Am Mon­tag ist PRO ASYL zur Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung zum Aus­bil­dungs- und Beschäf­ti­gungs­dul­dungs­ge­setz gela­den und hat ent­spre­chend eine Stel­lung­nah­me ein­ge­reicht. In die­ser zeigt PRO ASYL, dass das angeb­li­che Ziel, sowohl den Betrof­fe­nen als auch den Arbeitgeber*innen mehr Rechts­si­cher­heit zu bie­ten, durch die aktu­el­le Aus­ge­stal­tung des Geset­zes sogar kon­ter­ka­riert wird.

Denn die Anfor­de­run­gen, die an die bei­den Dul­dungs­for­men gestellt wer­den, sind viel zu hoch – für die Aus­bil­dungs­dul­dung sind sie sogar eine Ver­schlech­te­rung zum aktu­el­len Stand. Im Gegen­satz zu jetzt muss ein gedul­de­ter Jugend­li­cher zum Bei­spiel trotz Aus­bil­dungs­zu­sa­ge noch sechs Mona­te auf die Aus­bil­dungs­dul­dung war­ten. Bei der Beschäf­ti­gungs­dul­dung sol­len es sogar 12 Mona­te die­ser soge­nann­ten »Vor­dul­dungs­zeit« sein. Die­se Zeit ist expli­zit dafür vor­ge­se­hen, dass die Aus­län­der­be­hör­de die Per­son doch noch abschie­ben kann. Rechts­si­cher­heit ist wäh­rend die­ser Zeit also weder für die Betrof­fe­nen noch für die Arbeitgeber*innen vorhanden.

Außer­dem sind die Aus­schluss­grün­de bei der Aus­bil­dungs­dul­dung so gestal­tet, dass sie fast alle gedul­de­ten Men­schen aus­schlie­ßen könn­ten. Denn so soll zum Bei­spiel schon die Ein­lei­tung eines Dub­lin-Ver­fah­rens zum Aus­schluss von der Aus­bil­dungs­dul­dung füh­ren – dabei wird ein Dub­lin-Ver­fah­ren stan­dard­mä­ßig in allen Asyl­ver­fah­ren durchgeführt!

Nur weil ein Dub­lin-Ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wur­de, heißt dies noch lan­ge nicht, dass die Per­son in einen ande­ren EU-Staat muss. In den meis­ten Bun­des­län­dern gibt es zen­tra­le Aus­län­der­be­hör­den, an die­se muss stan­dard­mä­ßig jede Akte eines gedul­de­ten Men­schen über­ge­ben wer­den. Dies könn­te zum Aus­schluss aller Gedul­de­ten von der Aus­bil­dungs­dul­dung in die­sen Bun­des­län­dern füh­ren. Denn nach der Geset­zes­be­grün­dung gilt bereits die Über­ga­be der Akte als die Buchung von Trans­port­mit­teln und damit als Aus­schluss­grund von der Ausbildungsduldung.

Nach der Geset­zes­be­grün­dung gilt bereits die Über­ga­be der Akte als die Buchung von Trans­port­mit­teln und damit als Aus­schluss­grund von der Ausbildungsduldung.

Die Abge­ord­ne­ten des Bun­des­ta­ges müs­sen hier drin­gend nach­bes­sern, wenn die Aus­bil­dungs- und Beschäf­ti­gungs­dul­dun­gen nicht kom­plett leer lau­fen sollen!

Verfassungswidrige Leistungskürzungen

Mit dem Zwei­ten Hau-ab-Gesetz wird die Sozi­al­po­li­tik instru­men­ta­li­siert, um Flücht­lin­ge aus Deutsch­land hin­aus­zu­ekeln. Das Zwei­te Hau-ab-Gesetz setzt durch den Ent­zug von Sozi­al­leis­tun­gen von in ande­ren EU-Staa­ten Aner­kann­ten auf die Ver­drän­gung in ande­re Län­der, obwohl Gerich­te bis hin zum Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt Abschie­bun­gen in Län­der wie Ita­li­en, Bul­ga­ri­en und Grie­chen­land gestoppt haben, weil dort für Asyl­su­chen­de und Flücht­lin­ge elen­de Zustän­de herr­schen. In Grie­chen­land bei­spiels­wei­se wer­den aktu­ell Aner­kann­te aus ihren Woh­nun­gen getrie­ben; flie­hen sie nach Deutsch­land, droht ihnen nun auch hier durch das neue Gesetz die Obdach­lo­sig­keit. Das ist ver­fas­sungs­wid­rig.

Uferlose Ausweitung der Haftgründe

Durch die Vor­schlä­ge im Zwei­ten Hau-ab-Gesetz könn­ten prak­tisch alle voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­ti­gen Per­so­nen  in  Abschie­bungs­haft  genom­men  wer­den,  da die soge­nann­te »Flucht­ge­fahr« aus­ufernd  defi­niert  wird.  So  kann  bereits  die  Nicht­er­fül­lung  der  Pass­be­schaf­fungs­pflicht als Indiz gel­ten. Wer grö­ße­re Geld­mit­tel auf­ge­wen­det hat, um nach Deutsch­land zu kom­men, dem wird dies eben­so als Indiz für die Flucht­ge­fahr und damit Haft­grund ent­ge­gen­ge­hal­ten, selbst wenn er oder sie letzt­end­lich legal ein­ge­reist ist.

Auch das Ver­las­sen eines EU-Mit­glied­staa­tes vor Abschluss des Asyl­ver­fah­rens kann ein Anhalts­punkt für Flucht­ge­fahr sein. Die Ein­füh­rung einer soge­nann­ten »Mit­wir­kungs­haft« von bis zu 14 Tagen, wenn Betrof­fe­ne z.B. unent­schul­digt nicht zu einem Ter­min bei der zustän­di­gen Behör­de erschie­nen sind, ist unver­hält­nis­mä­ßig und rechts­wid­rig. Das Anti-Fol­ter Komi­tee der Ver­ein­ten Natio­nen hat sich erst kürz­lich kri­tisch zu die­sen Plä­nen geäußert.

Gegen die rechts­staats­wid­ri­gen Aspek­te die­ser Neu­re­ge­lun­gen haben sich die Jus­tiz­mi­nis­te­ri­en der Län­der mit guten Grün­den gewendet.

Die Abschie­bungs­haft soll außer­dem in nor­ma­len Gefäng­nis­sen durch­ge­führt wer­den kön­nen. Das steht im Wider­spruch zur ein­deu­ti­gen Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs: Die Tren­nung von Straf­ge­fan­ge­nen und Men­schen, die abge­scho­ben wer­den sol­len, ist zwin­gend not­wen­dig, um die Men­schen­wür­de der betrof­fe­nen Per­so­nen zu schüt­zen. Der Gesetz­ent­wurf ist an die­ser Stel­le die offen­si­ve Miss­ach­tung euro­päi­schen Rechts. Gegen die rechts­staats­wid­ri­gen Aspek­te die­ser Neu­re­ge­lun­gen haben sich die Jus­tiz­mi­nis­te­ri­en der Län­der mit guten Grün­den gewendet.

SCHAFFUNG EINES NEUEN PREKÄREN DULDUNGSSTATUS

Men­schen, die ihrer im Zwei­ten Hau-ab-Gesetz defi­nier­ten »Pass­be­schaf­fungs­pflicht« angeb­lich nicht nach­kom­men, sol­len nur noch die »Dul­dung light« bekom­men. Ihnen wird pau­schal Aus­bil­dung und  Arbeit  ver­bo­ten und eine  Wohn­sitz­auf­la­ge  auf­er­legt. Dies wird auch Men­schen tref­fen, denen es oft unmög­lich ist, der Pass­be­schaf­fung nach­zu­kom­men: Nicht, weil sie nicht wol­len, son­dern weil sie es nicht  können.

Für Afghan*innen, die zum Bei­spiel nie über eine Geburts­ur­kun­de ver­fügt haben und sich zum Teil vie­le Jah­re in Dritt­staa­ten auf­ge­hal­ten haben, ist es äußerst schwie­rig, eine soge­nann­te Taz­ki­ra (Iden­ti­täts­do­ku­ment in Afgha­ni­stan) zu beschaf­fen. Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist, dass ihnen durch die »Dul­dung light« auch bei guter Inte­gra­ti­on der Weg in ein Blei­be­recht ver­sperrt wird, was ins­be­son­de­re Kin­der und Jugend­li­che tref­fen könnte.

BEDROHUNG DER ZIVILGESELLSCHAFT

Auch die Zivil­ge­sell­schaft wird wei­ter­hin bedroht: Indem der gesam­te Ablauf der Abschie­bung und alle dazu­ge­hö­ri­gen Infor­ma­tio­nen unver­hält­nis­mä­ßig als »Geheim­nis« dekla­riert wer­den, besteht die Gefahr, dass in der Flücht­lings­ar­beit Täti­ge, die z.B. über den Ter­min bei einer Bot­schaft oder beim Arzt infor­mie­ren, der Bei­hil­fe zum Geheim­nis­ver­rat bezich­tigt wer­den. Allein die Mög­lich­keit einer Anzei­ge wird zu star­ker Ver­un­si­che­rung bei den Men­schen füh­ren, die sich für Schutz­su­chen­de enga­gie­ren. Im Straf­ge­setz­buch sind Pressevertreter*innen von der Bei­hil­fe zum Geheim­nis­ver­rat aus­ge­nom­men, nicht aber zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteure.

Die Men­schen­rechts­kom­mis­sa­rin ruft das Par­la­ment dazu auf, von sol­chen Maß­nah­men Abstand zu nehmen.

Wie pro­ble­ma­tisch die­se Rege­lung ist, hat die Men­schen­rechts­kom­mis­sa­rin des Euro­pa­ra­tes Dun­ja Mija­to­vić in einem offe­nen Brief an die Vor­sit­zen­de des Innen­aus­schus­ses des Deut­schen Bun­des­tags dar­ge­legt: laut Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­ho­fes für Men­schen­rech­te haben zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen eine wich­ti­ge Rol­le in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft inne, indem sie Regie­rung und Behör­den zum men­schen­rechts­kon­for­men Han­deln auf­for­dern und in ihren Rech­ten ver­letz­ten Indi­vi­du­en hel­fen. Hier­für müs­sen Orga­ni­sa­tio­nen über rele­van­te The­men berich­ten und die Behör­den zur Trans­pa­renz auf­for­dern kön­nen. Des­we­gen dür­fen auch Geset­ze zu Staats­ge­heim­nis­sen nicht impli­zit zu einer Zen­sur füh­ren. Durch die Mög­lich­keit zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen wegen Anstif­tung oder Bei­hil­fe anzu­kla­gen, könn­te die Mei­nungs­frei­heit ver­letzt wer­den. Die Men­schen­rechts­kom­mis­sa­rin ruft des­we­gen das Par­la­ment dazu auf, von sol­chen Maß­nah­men Abstand zu nehmen.

(wj)