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Zum Nichtstun verdammt - Flüchtlinge in einer Berliner Massenunterkunft. Das sogenannte »Integrationsgesetz« verbessert ihre Situation nicht, es ist vielmehr ein Rückschritt für die Integration von Flüchtlingen. Foto: UNHCR / Ivor Prickett

Am 31. Juli 2016 ist das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten. Es enthält u.a. Veränderungen bei der Wohnsitzauflage, den Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Kürzungen beim Existenzminimum.

Trotz der brei­ten zivil­ge­sell­schaft­li­chen Kri­tik am Inte­gra­ti­ons­ge­setz ist die­ses vom Bun­des­tag beschlos­sen und Ende Juli im Bun­des­ge­setz­blatt ver­öf­fent­licht wor­den. Eine aus­führ­li­che Kri­tik am Inte­gra­ti­ons­ge­setz fin­det sich in der Stel­lung­nah­me von PRO ASYL. Nicht berück­sich­tigt ist hier­bei die Neu­re­ge­lung zur Unzu­läs­sig­keit von Asyl­an­trä­gen – eine Kri­tik hier­an hat das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te formuliert.

Wir stel­len im Über­blick eini­ge der Neue­run­gen dar:

Im Sozi­al­ge­setz­buch wur­den Son­der­be­stim­mun­gen erlas­sen. Hier­bei wird aber eine Unter­schei­dung zwi­schen Flücht­lin­gen mit »guter« und mit »schlech­ter« Blei­be­per­spek­ti­ve getrof­fen. Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der bei denen ein recht­mä­ßi­ger und dau­er­haf­ter Auf­ent­halt zu erwar­ten ist (respek­ti­ve Asyl­su­chen­de aus Her­kunfts­staa­ten mit einer hohen Aner­ken­nungs­quo­te) sol­len berufs­vor­be­rei­ten­de Bil­dungs­maß­nah­men, aus­bil­dungs­be­glei­ten­de Hil­fen und Unter­stüt­zung aus der assis­tier­ten Aus­bil­dung erhal­ten, wenn ihr Auf­ent­halt bereits seit drei Mona­ten gestat­tet ist, bei Gedul­de­ten ver­län­gert sich die Frist auf zwölf Mona­te ( § 132 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB III). Berufs­aus­bil­dungs­bei­hil­fe und Aus­bil­dungs­geld erhält, wer seit 15 Mona­ten einen gestat­te­ten Auf­ent­halt in Deutsch­land hat, Gedul­de­te haben erst nach sechs Jah­ren Anspruch.

Asyl­su­chen­de aus siche­ren Her­kunfts­staa­ten sol­len aus die­ser Rege­lung her­aus­fal­len. Nur wenn sie nicht in einer Auf­nah­me­ein­rich­tung woh­nen, sol­len sie über­haupt die Mög­lich­keit im Ein­zel­fall erhal­ten Berufs­aus­bil­dungs­bei­hil­fe zu bekom­men. Für eine berufs­vor­be­rei­ten­de Bil­dungs­maß­nah­me wer­den zusätz­lich Kennt­nis­se der deut­schen Spra­che erwartet.

Die Son­der­re­ge­lun­gen gel­ten nur für Maß­nah­men und Anträ­ge auf Bei­hil­fe, die bis zum 31.12.2018 ergan­gen sind, gestellt wur­den oder begon­nen haben.

Nach dem § 60a Abs. 2 S. 4 Auf­enthG wird wäh­rend einer Aus­bil­dung eine Dul­dung für die Gesamt­dau­er der Aus­bil­dung ein­ge­führt. Im Anschluss kann die Per­son zudem für sechs Mona­te einen Beruf suchen, der der Aus­bil­dung ent­spricht. Ob die­se Rege­lung auch für das Stu­di­um gilt ist bis­her nicht ein­deu­tig sicher. Ent­spre­chen­de Begeh­ren soll­ten mit Anwält*innen geprüft werden.

Die Auf­ent­halts­er­laub­nis kann zudem wider­ru­fen wer­den, wenn aus Grün­den, die in der Ver­ant­wor­tung des Aus­län­ders lie­gen, das Arbeits­ver­hält­nis auf­ge­löst wur­de oder die betrof­fe­ne Per­son eine vor­sätz­li­che Straf­tat im Bun­des­ge­biet ver­übt hat, wobei aber Geld­stra­fen von bis zu 50 Tages­sät­zen oder bis zu 90 Tages­sät­zen bei Straf­ta­ten nach dem Auf­ent­halts­ge­setz oder Asyl­ge­setz aus­ge­nom­men sind.

Die sog. Vor­rang­prü­fung – also die Regel, nach der gegen­über Asyl­su­chen­den deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge und Migrant*innen mit einem gesi­cher­ten Auf­ent­halts­recht vor­ran­gig für Arbeits­an­ge­bo­te zu berück­sich­ti­gen sind – wird teil­wei­se für drei Jah­re lang abge­schafft. Die Vor­rang­prü­fung wird für drei Jah­re in den­je­ni­gen Bezir­ken abge­schafft, in denen die Arbeits­lo­sen­quo­te unter­durch­schnitt­lich ist. In der Anla­ge zur Ver­ord­nung sol­len die betref­fen­den Bezir­ke auf­ge­lis­tet wer­den. Aktu­ell ist die­se Lis­te noch nicht ein­seh­bar (Stand: August 2016).

Der neue § 421a SGB III stellt klar, dass Arbei­ten im Rah­men von Flücht­lings­in­te­gra­ti­ons­maß­nah­men kein Arbeits­ver­hält­nis begrün­den. Die Regeln des Arbeits­schut­zes und für Urlaubs­ent­gel­te wer­den aber ent­spre­chend angewendet.

Asyl­su­chen­de sind ver­pflich­tet, die von den Behör­den zuge­wie­se­nen Flücht­lings­in­te­gra­ti­ons­maß­nah­men anzu­neh­men. Dabei ähneln die­se Maß­nah­men den schon bekann­ten Arbeits­maß­nah­men aus dem Hartz-IV-Sys­tem. Wei­gern sich Flücht­lin­ge die Maß­nah­me anzu­tre­ten, kann ihr Exis­tenz­mi­ni­mum gestri­chen wer­den (sie­he unten). Zur Ermitt­lung wel­cher Asyl­su­chen­de wel­che Tätig­keit wahr­neh­men soll, dür­fen die Behör­den nun­mehr die erfor­der­li­chen per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten der Betrof­fe­nen erhe­ben, z.B. zum Bil­dungs­stand, zur beruf­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on und zu den Sprachkenntnissen.

Zu unter­schei­den hier­von sind Arbeits­ge­le­gen­hei­ten, die es schon län­ger im Gesetz gibt und die Asyl­su­chen­de ver­pflich­ten in ihren Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen gewis­se Tätig­kei­ten durch­zu­füh­ren. Durch das Inte­gra­ti­ons­ge­setz wird ihre bis­he­ri­ge Auf­wands­ent­schä­di­gung von 1,05 Euro auf 80 Cent reduziert.

Ein neu­er Anwen­dungs­be­reich für Kür­zun­gen des Exis­tenz­mi­ni­mums nach § 1a Asyl­blG wird eingeführt.

Nach § 1a Abs. 4 sind von den Kür­zun­gen nun­mehr auch Per­so­nen betrof­fen, die bereits in einem ande­ren EU-Mit­glied­staat einen inter­na­tio­na­len Schutz­sta­tus erhal­ten haben.

Eine Leis­tungs­kür­zung nach § 1a Abs. 5 erfolgt zudem dann, wenn Asyl­su­chen­de bestimm­te Mit­wir­kungs­pflich­ten nicht erfüllt haben. Dar­un­ter zählt z.B. die feh­len­de Bei­brin­gung von Unter­la­gen zur Bestim­mung ihrer Iden­ti­tät, das Fern­blei­ben von einem Ter­min zur förm­li­chen Antrags­stel­lung beim BAMF oder die Ver­wei­ge­rung von Anga­ben zu Infor­ma­tio­nen ihrer Iden­ti­tät oder Staats­bür­ger­schaft. Die Kür­zung ist nur dann aus­ge­schlos­sen, wenn der Asyl­su­chen­de für die­ses Ver­hal­ten nicht ver­ant­wort­lich ist. Die Kür­zung wird been­det, wenn die erfor­der­li­che Mit­wir­kungs­hand­lung erbracht wird.

Gekürzt wird das Exis­tenz­mi­ni­mum auch dann, wenn Asyl­su­chen­de  die Arbeits­ge­le­gen­heit, zu der sie ver­pflich­tet wur­den, nicht wahr­ge­nom­men haben oder einen Inte­gra­ti­ons­kurs nicht besuchen.

Pro­ble­ma­tisch ist zudem, dass der Wider­spruch und die Kla­ge bei die­sen Kür­zun­gen kei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung haben.

Beson­ders umstrit­ten war die Ein­füh­rung der Wohn­sitz­auf­la­ge durch das Inte­gra­ti­ons­ge­setz. Sie betrifft aner­kann­te Flücht­lin­ge und zwingt sie unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen am Ort woh­nen zu blei­ben, zu dem sie wäh­rend ihres Asyl­ver­fah­rens zuge­wie­sen wur­den (§ 12a Auf­enthG). Betrof­fen hier­von sind alle Flücht­lin­ge, die erst nach dem 01. Janu­ar 2016 eine Aner­ken­nung oder die erst­ma­li­ge Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis erhal­ten haben.

Aner­kann­te Flücht­lin­ge sol­len für drei Jah­re lang am Ort ihrer Zuwei­sung wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens leben müs­sen ohne an einem ande­ren Ort ihren Wohn­sitz zu begrün­den (§ 12a Abs. 1 Auf­enthG). Aus­ge­nom­men hier­von sind Per­so­nen, die selbst, deren Ehe­gat­ten (Lebens­part­ner) oder deren min­der­jäh­ri­ges Kind eine sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäf­ti­gung von min­des­tens 15 Stun­den auf­ge­nom­men haben und damit über ein durch­schnitt­li­ches Ein­kom­men im Sin­ne von §§ 20 und 22 SGB II ver­fü­gen. Dazu zählt auch eine Berufs­aus­bil­dung oder ein Studium.

Die Wohn­sitz­auf­la­ge betrifft zunächst nur die Zutei­lung zu einem bestimm­ten Bun­des­land und dann erst zu einem bestimm­ten Ort. Die Bun­des­län­der haben dar­über hin­aus die Mög­lich­keit bestimm­te Orte von einer Wohn­sitz­zu­tei­lung aus­zu­neh­men, z.B. weil die Bun­des­län­der an dem betref­fen­den Ort davon aus­ge­hen, dass kein aus­rei­chen­der Wohn­raum zur Ver­fü­gung steht. Die jewei­li­gen Bun­des­län­der sind daher selbst in der Ver­ant­wor­tung zu ent­schei­den, wie sie die Wohn­sitz­auf­la­ge genau regeln wol­len. Ent­spre­chen­de Hin­wei­se wer­den sich dem­nächst in den Durch­füh­rungs­ver­ord­nun­gen der Län­der fin­den. Eini­ge Län­der haben bereits mit­ge­teilt, dass sie die Wohn­sitz­auf­la­ge nicht anwen­den wol­len, z.B. Rhein­land-Pfalz. Ande­re Bun­des­län­der prü­fen der­zeit die Ausgestaltung.

Zusätz­lich zur Wohn­sitz­auf­la­ge wird im SGB II noch klar­ge­stellt, dass die Leis­tun­gen nur vom Trä­ger des­je­ni­gen Ortes erbracht wer­den, dem der Flücht­ling zuge­wie­sen ist. Am Ort, wo sich der Betrof­fe­ne tat­säch­lich auf­hält, darf ihm nur eine Rei­se­bei­hil­fe zum Ort sei­ner Zuwei­sung erbracht wer­den (§ 23 Abs. 5 SGB XII).

Bis­lang konn­ten Flücht­lin­ge nach drei Jah­ren des lega­len Auf­ent­halts in Deutsch­land eine dau­er­haf­te Nie­der­las­sungs­er­laub­nis erhal­ten. Nun­mehr wird die­se Frist auf fünf Jah­re aus­ge­wei­tet (§ 26 Abs. 3 Auf­enthG) und mit zusätz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ver­se­hen: So muss z.B. der Lebens­un­ter­halt über­wie­gend gesi­chert sein und hin­rei­chen­de Sprach­kennt­nis­se nach­ge­wie­sen werden.

§ 68 Abs. 1 Auf­enthG sieht jetzt vor, dass Ver­pflich­tungs­er­klä­run­gen auf fünf Jah­re befris­tet wer­den sol­len. Außer­dem wird gesetz­lich aus­ge­schlos­sen, dass bei Ertei­lung eines huma­ni­tä­ren Auf­ent­halts­ti­tels oder der Aner­ken­nung als Schutz­be­rech­tig­ter die Ver­pflich­tung aus der Ver­pflich­tungs­er­klä­rung entfällt.

Die­se Regel gilt auch für Ver­pflich­tungs­er­klä­run­gen, die vor dem 6. August 2016 abge­ge­ben wur­den, jedoch mit der Ein­schrän­kung, dass die Frist pau­schal auf drei Jah­re begrenzt ist. Ist die Frist zum 6. August bereits abge­lau­fen, läuft sie nach Maß­ga­be des Geset­zes noch bis zum 31. August weiter.

Schließ­lich ent­hält das Inte­gra­ti­ons­ge­setz noch eini­ge Über­gangs­vor­schrif­ten, die die Gestat­tung des Auf­ent­halts von Asyl­su­chen­den betref­fen. Dies ist wich­tig, um bestimm­te Fris­ten lau­fen zu las­sen, z.B. für den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Dem­nach ist der Auf­ent­halt eines Aus­län­ders, der vor dem 5. Febru­ar 2016 um Asyl ersucht hat, ab die­sem Zeit­punkt gestat­tet oder ab dem Zeit­punkt seit dem er sich in einer Auf­nah­me­ein­rich­tung befin­det. Aus­län­dern, die bis zum 6. August 2016 einen Ankunfts­nach­weis erhal­ten haben, ist ihr Auf­ent­halt ab dem Zeit­punkt der Aus­stel­lung gestattet.