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Die EU will Flüchtlingsboote noch vor ihrer Abfahrt zerstören. Doch wie kann sichergestellt werden, dass unter Deck nicht bereits Flüchtlinge sind? Was, wenn Migranten als menschliche Schutzschilde missbraucht werden? Und: Welche Fluchtroute bleibt, wenn das Mittelmeer militärisch abgeschottet wurde? Foto: flickr / European Union Naval Force

Der EU-Ministerrat hat am 18.05.2015 die Militäroperation „EUNAVFOR Med“ beschlossen um im Mittelmeer sowie an der Küste Libyens militärisch gegen „Menschenschmuggler Netzwerke“ vorzugehen. Das Vorhaben gefährdet Menschenleben. Flüchtlinge landen in der Falle.

Details der EU-Plä­ne kur­sie­ren schon län­ger, jetzt gibt es einen offi­zi­el­len Beschluss. Ein inter­nes EU-Papier beschreibt vier Ope­ra­ti­ons-Pha­sen. Zunächst soll mit mili­tä­ri­scher Auf­klä­rung begon­nen wer­den – mit Hil­fe von Droh­nen, Satel­li­ten und geheim­dienst­li­chen Erkennt­nis­sen sol­len die Struk­tu­ren der Schleu­ser­netz­wer­ke iden­ti­fi­ziert wer­den. In einem zwei­ten Schritt sol­len Boo­te auf Hoch­see beschlag­nahmt wer­den. In einer drit­ten Pha­se sol­len Boo­te auch zer­stört wer­den – sowohl auf Hoher See als auch vor der Abfahrt der Boo­te an Land.

Hier­für wäre ein UN-Man­dat not­wen­dig – die Außen­be­auf­trag­te der EU, Fede­ri­ca Mog­he­ri­ni, zeigt sich opti­mis­tisch, dass die EU ein sol­ches Man­dat erhält. Neben einer Mari­ne­ope­ra­ti­on wird zugleich auch der Ein­satz von Spe­zi­al­ein­hei­ten an Land dis­ku­tiert, um „Aktio­nen ent­lang der Küs­te, in Häfen oder gegen ankern­de Schmugg­ler­schif­fe vor ihrer Benut­zung“ durch­füh­ren zu kön­nen. Dafür wie für die Zer­stö­rung von Schif­fen an Land wäre zudem eine Koope­ra­ti­on mit Liby­en erfor­der­lich – die ist aktu­ell ange­sichts der riva­li­sie­ren­den Regie­run­gen, bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den und der offen­bar zuneh­men­den Prä­senz von IS-Ter­ro­ris­ten mehr als schwie­rig. Die offi­zi­ell aner­kann­te liby­sche Regie­rung in Tobruk erklär­te bereits, dass sie einen Mili­tär­ein­satz ablehnt. In wei­ter Fer­ne dürf­te auch die geplan­te vier­te Pha­se von EUNAVFOR Med ste­hen, in der die Bekämp­fung von Schmugg­lern an die noch auf­zu­bau­en­de liby­ischen Küs­ten­wa­che über­ge­ben wer­den soll.

„Kol­la­te­ral­schä­den“: EU nimmt Tod von Flücht­lin­gen in Kauf

In dem inter­nen EU-Papier wird rela­tiv offen dar­auf hin­ge­wie­sen, dass „Ope­ra­tio­nen gegen Schmugg­ler in der Anwe­sen­heit von Migran­ten ein hohes Risi­ko von Kol­la­te­ral­schä­den und den Ver­lust von Men­schen­le­ben“ bedeu­ten könn­ten. Tat­säch­lich stellt der bewaff­ne­te Mili­tär­ein­satz eine kaum kon­trol­lier­ba­re Gefahr für Men­schen­le­ben dar. Flücht­lings­boo­te wer­den in der Regel von ver­arm­ten Fischern oder Flücht­lin­gen gesteu­ert und beladen.

Die Ope­ra­tio­nen wirft zahl­rei­che Fra­gen auf: Wie kann sicher­ge­stellt wer­den, dass  unter Deck nicht bereits Flücht­lin­ge sind? Was pas­siert wenn Kämp­fe zwi­schen Mili­zen  und EU-Son­der­ein­hei­ten aus­bre­chen und Zivi­lis­ten und Flücht­lin­ge dazwi­schen gera­ten? Was, wenn Migran­ten als mensch­li­che Schutz­schil­de miss­braucht wer­den? Die bit­te­ren Erfah­run­gen mit „Prä­zi­si­ons­schlä­gen“ in Afgha­ni­stan oder dem Irak zei­gen zudem: Zivi­le Opfer sind immer wie­der die Fol­ge ver­meint­lich „prä­zi­ser“ Ope­ra­tio­nen gegen Infrastrukturziele.

Mili­tär­ein­satz reicht bis nach Liby­en – See­not­ret­tung nur in EU-Küstennähe

Die Mili­tär­mis­si­on gegen Schleu­ser soll bis an die Küs­te Liby­ens, Tune­si­ens und Ägyp­tens rei­chen. Hier­bei waren sich die EU-Staa­ten schnell einig. Eine Aus­wei­tung der See­not­ret­tung im Rah­men der Grenz­schutz-Ope­ra­ti­on Tri­ti­on, wel­che kürz­lich zusam­men mit dem Mili­tär­ein­satz von der EU-Kom­mis­si­on vor­ge­schla­gen wur­de,  ist bis­her nicht erfolgt. Tri­ton ist offi­zi­ell wei­ter­hin auf die Gewäs­ser in der Nähe Ita­li­ens beschränkt, wäh­rend die meis­ten Boo­te schon vor der liby­schen Küs­te kentern.

Ein Vor­stoß zur Eva­ku­ie­rung der Flücht­lin­ge aus Liby­en steht nicht ein­mal zur Dis­kus­si­on. Dabei ist die Situa­ti­on von Flücht­lin­gen und Migran­ten in Liby­en dra­ma­tisch. Amnes­ty Inter­na­tio­nal doku­men­tiert in einem aktu­el­len Bericht Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Fol­ter und Ent­füh­run­gen sowie sys­te­ma­ti­sche Aus­beu­tung von Flücht­lin­gen in dem zer­fal­le­nen Staat.  Vie­len bleibt nur ein Aus­weg: Die lebens­ge­fähr­li­che Flucht über das Mit­tel­meer zu wagen. Die­ser Weg soll nun durch die Ope­ra­ti­on „EUNAVFOR Med“  ver­sperrt wer­den. Die Flücht­lin­ge säßen dann in Liby­en fest.

Alter­na­ti­ve Flucht­rou­ten: Län­ger, teu­rer, gefährlicher?

Soll­te die Mili­tär­ope­ra­ti­on erfolg­reich sein, säßen nicht nur zehn­tau­sen­de Flücht­lin­ge in Liby­en in der Fal­le und blie­ben mas­si­ver Gewalt aus­ge­lie­fert – auch die Flucht­we­ge aus Län­dern wie Eri­trea, Syri­en oder Soma­lia wür­den ver­mut­lich län­ger, teu­rer und gefähr­li­cher. Dies zeigt ein Blick in die Ver­gan­gen­heit: Nach der Abschot­tung der EU-Land­gren­ze im Evros-Gebiet blieb vie­len Flücht­lin­gen nur noch die Über­fahrt mit dem Boot, nach der Abschot­tung der mau­re­ta­ni­schen Küs­te und der West-Saha­ra wähl­ten Boots­flücht­lin­ge aus West­afri­ka die deut­lich gefähr­li­che­re Rou­te vom Sene­gal aus zu den Kana­ren.

Im schlimms­ten Fall säßen etwa Schutz­be­dürf­ti­ge aus Syri­en voll­stän­dig in der Fal­le, da sämt­li­che Flucht­we­ge ver­sperrt oder zu teu­er sind, wäh­rend die Erst­auf­nah­me­staa­ten in der Regi­on sich kaum noch in der Lage sehen, auch nur das Über­le­ben­den der Flücht­lin­ge zu sichern. Die weni­gen lega­len Ein­rei­se­mög­lich­kei­ten nach Euro­pa sind ver­sperrt, und die Beschlüs­se der EU zei­gen, dass die Staa­ten der Uni­on dar­an auch nichts ändern wol­len: Lie­ber inves­tiert die EU ihre Mit­tel in einen in jeder Hin­sicht ris­kan­ten Mili­tär­ein­satz als in Auf­nah­me­pro­gram­me, die Flücht­lin­gen die lebens­ge­fähr­li­che Flucht erspa­ren und noch dazu Schlep­pern ihre Geschäfts­grund­la­ge ent­zie­hen könnten.

Beschluss des EU-Minis­ter­rats vom 18.05.2015

Inter­nes EU-Papier: Die vier Ope­ra­ti­ons-Pha­sen von EUNAVFOR Med (pdf)

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